"Wer sich für das Abenteuer Marathon entscheidet, sollte gut vorbereitet sein. 42 195 Meter sind kein Sommerspaziergang", sagt Willi Heepe. In seinen 30 Jahren als Arzt beim Berlin-Marathon hat er so manchen unvernünftigen Sportler erlebt.
"Es besteht immer eine Gefahr, für jeden einzelnen Läufer, wenn es ein Missverhältnis zwischen seriöser Vorbereitung und dem Anspruch andererseits gibt", sagt der frühere 5.000-m-Europameister Thomas Wessinghage in einem Gespräch mit der dpa. Beide Ärzte raten jedem, mehr in den Körper hineinzuhorchen als auf die Uhr zu schauen.
"Schickness"-Welle als Gefahr
Sportmediziner und Kardiologe Heepe kennt die Szene wie kaum ein anderer. Der 69-jährige Berliner hat die klassische 42,195-km-Distanz selbst schon 52 Mal bewältigt und als Arzt Tausende Läufer untersucht.
"Die Welle der 'Schickness', ein Mal im Leben Marathon gelaufen zu sein, spült viele Ehrgeizlinge auf die Piste", sagt Heepe und warnt vor allem vor einer Herz-Überbelastung: "Es sind immer Leute mit Hochrisiko am Start - die sterben dann den Sekundentod."
Medizin-Check bald verpflichtend?
Man sollte extrem gesund sein, bevor man auf die Strecke geht, fordert Heepe, spricht sich aber gegen einen Gesundheitspass aus. Diese "Eintrittskarte" für Hobbyläufer - ein obligatorischer Medizin-Check - ist in Italien bereits seit einiger Zeit obligatorisch.
Heepe setzt auf das Prinzip der Freiwilligkeit. "Rund 40 Prozent der Läufer lassen sich vorher untersuchen. Allerdings sind das meistens die kerngesunden", erklärt er. Und: "Wir machen ja in Deutschland auch keinen Psychotest für Porsche-Fahrer, die drei Bypässe haben."
Von Null auf Hundert geht nicht
Die Risikogruppe beginnt nach den Erkenntnissen Heepes im Alter "zwischen 35 und 40". Der Mediziner warnt vor allem davor, einen Marathonlauf aus einer fixen Idee heraus in Angriff zu nehmen, um Familie, Freunde oder Kollegen zu beeindrucken.
"Jahrelang nichts getan, womöglich sogar geraucht - und dann von Null auf Hundert. Das kann nicht gut gehen."
Dass es trotz vieler schlecht vorbereiteter Läufer so wenig Todesfälle bei den großen Marathons gibt, ist für Heepe kein Widerspruch: "Auf der Strecke schalten viele ab und laufen sehr unbelastet."
Amerika ist anders
Beispielhaft für unterschiedliche Laufphilosophien ist der Vergleich zwischen den USA und Europa.
"Wenn man in Deutschland sagt, dass man einen Marathon gelaufen ist, kommt sofort die Frage nach der Zeit. Da können Sie Gift drauf nehmen", versichert Heepe. In Amerika läuft das anders. "Finisher?" heißt da die Frage - bist du ins Ziel gekommen? Die Zeit ist Nebensache.
Zeit sollte Nebensache sein
Genau das ist auch für den ehemaligen Weltklasseläufer Wessinghage, der seit 2002 eine Reha-Klinik im Ostseebad Damp und wöchentlich Laufseminare leitet, das Entscheidende: "Immer die Zeit im Kopf zu haben, ist ein Fehler. Dann geht man schon ein gewisses Risiko ein. Der Marathon ist so lang - da ist die Ankunft schon der Sieg."
Als größtes Risiko sieht der Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin das Herz. "Viele lassen sich nicht richtig untersuchen oder ignorieren sogar kurz vor dem Lauf noch eindeutige Krankheitszeichen."
"Marathon ist etwas für Gesunde, du musst hundertprozentig fit sein", so Wessinghage. Der Durchschnittsdeutsche gehe "zwischen 400 und 700 Meter am Tag, von morgens bis abends. Und dann will er plötzlich das 100fache dieser Strecke an einem Tag bewältigen."
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