ORF.at nennt Gründe, warum im ÖFB-Team derzeit keine Fortschritte zu erkennen sind, woran es im österreichischen Fußball krankt, welche Auswirkungen das auf das Nationalteam hat und woran Hickersberger und Co. noch hart arbeiten müssen. Ein pessimistischer EM-Blick in die Zukunft.
![]() |
©Bild: GEPA |
Der rot-weiß-rote Angriff gleicht einer Großbaustelle ohne Absperrung. Vor dem Tor des Gegners scheint derzeit ein tiefe Grube ausgehoben, wo die ÖFB-Stürmer hineinfallen und für die gesamte Spieldauer verschwinden. Vor 594 Minuten erzielte Sanel Kuljic am 11. Oktober 2006 beim 2:1 gegen die Schweiz den letzten Treffer eines Stürmers.
Die Stürmer hängen aber auch zugegebenermaßen in der Luft, denn das Spiel des Mittelfeldes nach vorne klappt alles andere als reibungslos. Außerdem ist für Hickersberger die Auswahl sehr gering. Bezeichnend für die Situation: Der 35-jährige Christian Mayrleb ist in der Bundesliga der beste heimische Torschütze.
Wer soll die Tore im ÖFB-Team machen? Roland Linz ist ein Strafraumstürmer, braucht gute Vorlagen, muss sich aber auch mehr bewegen. Kuljic hat mit der Austria wieder einen Klub, eine Formverbesserung ist zu erhoffen. Mario Haas ist ein Routinier, der seine Stärken im Konter hat und vielleicht die Rolle eines Jokers spielen kann.
![]() |
©Bild: GEPA |
Teamehren im Sonderangebot
Noch nie in der Geschichte des modernen österreichischen Fußballs war es so leicht, zu Teamehren zu kommen. Ein halbes Jahr mit durchschnittlichen Leistungen in der Bundesliga reicht oft schon aus, um einberufen zu werden. Ein gerader Pass dort, ein Tor da, und man steckt schon im Teamdress, ohne je längerfristig konstante Leistungen gebracht zu haben.
Auf Grund der großen Anzahl von Legionären in Schlüsselpositionen bei den Bundesliga-Klubs fehlen Josef Hickersberger in der Wahl der Spieler oft die Alternativen. Ein Fehler, für den allerdings nicht der Teamchef geradestehen muss, sondern die Klubs und die Bundesliga.
Mängel in Spielaufbau und Technik
Durch das relativ niedrige Tempo in der heimischen Liga werden die Teamspieler bei ihren internationalen Einsätzen oft von der Spielgeschwindigkeit überrascht. Das Team wirkt auch trotz zahlreicher gemeinsamer Trainings nicht eingespielt.
Ballannahme, Sprints in die gegnerische Hälfte und schnelle Pässe in die Spitzen werden oft gar nicht, schlecht, zu langsam oder zu wenig direkt ausgeführt. Die Gegner können ohne große Mühe ihre Abwehr formieren.
Da sich die Spielerausbildung in Österreich vor einigen Jahren zu sehr an deutschen Vorbildern bezüglich Kraft und Athletik orientierte, sind die heimischen Kicker im technischen Bereich ins Hintertreffen geraten. Selbst Schotten wirkten im Vergleich mit manchem ÖFB-Spieler wie Brasilianer.
![]() |
©Bild: GEPA |
Die Zeiten von "Antreibern" wie Andreas Ogris, Didi Kühbauer, aber auch Andreas Herzog sind im Team vorbei. Dem ÖFB-Team fehlen die Typen. Jene Spieler, die Verantwortung übernehmen und mit ihrem Willen und ihrer Energie die Kollegen mitreißen.
Teamkapitän Andreas Ivanschitz ist (zumindest noch) kein Anker, an dem sich seine Mitspieler anhalten können. Der inoffizielle Teamleader und Spartak-Moskau-Legionär Martin Stranzl versucht zwar sein Bestes, nicht alle lassen sich aber davon anstecken.
Fehlender Wettbewerbscharakter
Wer entscheidende Teamspiele von früher betrachtet, etwa das legendäre 3:0 gegen die DDR 1989 in der WM-Quali, erkennt, mit wie viel Biss, Einsatz, gesunder Aggressivität und Siegeswillen jeder einzelne Spieler agierte.
Diese Mentalität fehlt bis jetzt komplett. Das letzte Pflichtspiel absolvierte das ÖFB-Team im Oktober 2005. Das ist kein Fehler des heimischen Fußballs. Bis zur EM gibt es aber somit fast drei Jahre keine Partie, in der die Spieler an ihre Grenzen gehen müssen.
Bei der EM erwartet die Teamkicker allerdings dann ein Sprung von zehn auf 100, also ein noch höheres Tempo als jenes, das für einige schon in den Testspielen ungewohnt war.
![]() |
©Bild: GEPA |
Ein altes österreichisches Problem ist das Selbstbewusstsein, aber die Frage drängt sich auf: Woher auch? Die überzeugenden Erfolge (Ausnahme: 2:1 gegen die Schweiz) blieben bisher aus.
Wenn keine Erfolge gegen Malta, Schottland oder Paraguay gelingen, dann wird sich das ÖFB-Team in den Partien kurz vor der EM gegen Kaliber wie Deutschland und die Niederlande wohl schon gar kein Selbstvertrauen für den Auftakt holen können. Die breite Brust im so wichtigen Eröffnungsspiel wird daher eher auf der gegnerischen Seite zu finden sein.
Von einer "Europhorie" ist daher im Team und in weiterer Folge verständlicherweise auch in der Bevölkerung noch nichts zu spüren.
Und die Aussicht, nach einem frühen Aus des ÖFB-Teams die restliche EM ausschließlich in den Fanmeilen erleben zu dürfen, ist zwar groß, wird aber wohl nicht alle heimischen Fußballfans reizen.
Martin Wagner, ORF.at
Links: