Der geplatzte Titeltraum

Deja vu für die britischen Fans?
An das letzte Mal, als vor dem Saisonfinale noch drei Fahrer Chancen auf den WM-Titel hatten, kann sich Lewis Hamilton nicht erinnern. Denn der WM-Leader war beim Finish von 1986 noch nicht einmal zwei Jahre alt.

Doch die fehlende Erinnerung kann dem jungen Briten nur recht sein. Denn ein Blick zurück zeigt, dass es damals mehr als eine Parallele zur jetzigen Situation gab.

Hamilton führt vor dem letzten Rennen am Sonntag in Interlagos (Start 18.00 Uhr MESZ, live in ORF1) vier Punkte vor seinem McLaren-Teamrivalen Fernando Alonso, Kimi Räikkönen im Ferrari hat mit weiteren drei Zählern Rückstand ebenfalls noch Titelchancen.

Mansell als Leader ins letzte Rennen
Auch 1986 lag vor dem Finale ein Brite in Führung, dessen Teamkollege sich ebenfalls noch WM-Hoffnungen machte.

Williams-Pilot Nigel Mansell hatte vor dem Grand Prix von Australien sieben Punkte Vorsprung auf den drittplatzierten Nelson Piquet, der McLaren-Fahrer Alain Prost lag als Zweiter einen Zähler vor dem Brasilianer.

Wie jetzt Alonso war damals Piquet zweifacher Weltmeister, der sich eine bevorzugte Behandlung im Team erwartete. Und auch er war der Meinung, dass sein (britisches) Team den Briten Mansell bevorzuge.

Dritter Platz hätte genügt
Mansell hätte in Adelaide nur Dritter werden müssen, um Prost und Piquet in Schach zu halten.

Er hatte damit sogar eine bessere Ausgangsposition als nun Hamilton, der zumindest Zweiter werden muss, um aus eigener Kraft den Titel zu holen.

Aus und vorbei
Im Rennen selbst lief es lange Zeit ganz nach Mansells Wunsch. 18 Runden vor Schluss lag er auf dem sicheren dritten Rang, als bei rund 300 km/h plötzlich der linke Hinterreifen explodierte. Der Titeltraum war damit im wahrsten Sinn des Wortes "geplatzt".

"Sogar heute kann ich noch nicht glauben, auf welche Art und Weise ich die WM 1986 verloren habe", erinnerte sich der Weltmeister von 1992 später in seinen Memoiren.

"Schrecklicher Fehler" des Teams
"Williams hat so einen schrecklichen Fehler gemacht, als sie mich nicht zum Reifenwechseln reinkommen ließen", so Mansell weiter. "Ich wollte wechseln, es gab keinen Grund, nicht an die Box zu kommen. Doch sie haben mir gesagt, ich solle draußen bleiben."

"Als ich schließlich mein schleuderndes Auto am Ende der langen Gegengerade zum Stehen gebracht habe, hat es mich plötzlich wie ein Blitzschlag getroffen, dass die Weltmeisterschaft dahin war. Ich war nur noch 70 Kilometer vom Titel entfernt. Es war ohne Zweifel die größte Enttäuschung meines Lebens."

Prost "erbt" den Titel
Williams holte nach dem Zwischenfall den führenden Piquet an die Box, um sicherheitshalber seine Reifen zu wechseln.

Die Führung ging damit an Prost, der Rennen und WM-Titel gewann.

"Mein ganzes Leben hatte ich auf diese Gelegenheit gewartet. Ich hatte sie kurz in der Hand, doch dann war sie weg. Mein Kopf war voll mit einer Million von 'was wäre, wenn', die am Ende alle bedeutungslos waren", ärgerte sich Mansell noch Jahre später.

Große Erwartungen in der Heimat
Ähnlich wie jetzt Hamilton hatte damals auch sein Landsmann vor dem letzten Rennen eine große Bürde zu tragen gehabt. 1986 wartete Großbritannien schon seit zehn Jahren (James Hunt) auf einen Weltmeister.

Jetzt dauert die Durststrecke sogar noch länger, Damon Hill holte 1996 - also vor elf Jahren - zum letzten Mal den Titel auf die Insel.

Ein Reifenschaden reicht
Hamilton darf sich bei all den gezogenen Vergleichen nun immerhin damit trösten, dass er seinen Zwischenfall mit dem Reifen schon hatte.

Beim Grand Prix von China vor zwei Wochen rutschte er mit abgefahrenen Reifen bei der Boxeneinfahrt in den Schotter und schied erstmals in dieser Saison aus.

Wäre der Zwischenfall nicht passiert, hätte er sich schon in Schanghai den Titel als jüngster Weltmeister aller Zeiten sichern können.

Was sagt Alonso?
Doch Hamilton hat es auch in Brasilien selbst in der Hand, alles klar zu machen. Sollte es für ihn tatsächlich klappen, dann wird man sehen, ob es auf dem Podest zu einer weiteren Parallele mit Mansells Karriere kommt.

1992, als dieser sich doch noch den Titel holte, wandte sich Ayrton Senna bei der Siegerehrung an den neuen Weltmeister. "Er hat den Arm um mich gelegt, mich gedrückt und gesagt: 'Gut gemacht, Nigel. Es ist so ein gutes Gefühl, nicht wahr? Jetzt weißt du, warum ich so ein Scheißkerl bin. Ich will dieses Gefühl nie verlieren oder es irgendjemand anderen erleben lassen'", erinnert sich Mansell.

Worte, die wohl auch von Fernando Alonso stammen könnten. Vielleicht ergibt sich am Sonntag für den Spanier die Gelegenheit, es Senna nachzumachen.

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