Das Zeug zum Sieger

Raum für Verbesserung: "Bernhard fährt oft zu ungestüm, ist übermotiviert und attackiert zu oft."
Im Interview mit ORF.at spricht Werner Zanier, der Trainer von Bernhard Kohl, über die Leidenschaft seines Schützlings für den Sport, Kohls Fehler und seine Zukunft, und warum Österreichs neuer Radstar kein Top-Zeitfahrer sein muss, um die Tour de France in den nächsten Jahren für sich zu entscheiden.

ORF.at: Wie beurteilen Sie das Potenzial von Bernhard Kohl?

Zanier: Das hat sich bei dieser Tour gezeigt. Die Konturen seines Potenzials sind nun scharf. Er hat aber noch Spielraum nach oben - in einer Mannschaft, die ihn stärker unterstützen kann, denn Radfahren ist kein Einzelsport, der Erfolg steht und fällt mit den Teamkollegen. Das hat CSC in diesem Jahr eindrucksvoll bewiesen. Weiteres Verbesserungspotenzial hätte er in Bezug auf seine Position innerhalb eines Teams.

Bernhard Kohl (links), Trainer Werner Zanier (rechts) / ©Bild: Werner Zanier
Bernhard Kohl (links), Trainer Werner Zanier (rechts) / ©Bild: Werner Zanier

ORF.at: Was meinen Sie damit?

Zanier: Dass Kohl in der ersten Woche nicht in der Kapitänsrolle war, eher in der Helferrolle, maximal in der Rolle der zurückgezogenen zweiten Spitze. Kapitän war Markus Fothen. So gesehen ist Kohls Leistung noch höher einzustufen, weil er sich ohne Teamhilfe durch die Pyrenäen kämpfen musste und trotzdem seinen Spitzenrang dingfest machte.

ORF.at: Was hat Ihnen bei Kohl im Verlauf der Tour weniger gefallen?

Zanier: Die Art und Weise, wie er Rennen fährt, ist diskutierbar. Kohl fährt oft zu ungestüm, ist übermotiviert und attackiert zu oft. Da wäre ein bisschen weniger meist mehr. Er riskiert auch zu viel, ob bei Abfahrten oder in Zeitfahren - und so stürzte er in der Vergangenheit nicht selten. Kohl muss lernen, sich in bestimmten Momenten zurückzunehmen. Wir arbeiten daran.

ORF.at: Hat er den Zenit seiner körperlichen Leistungsfähigkeit bereits erreicht?

Zanier: Es gibt nur wenige potenzielle Verbesserungsmöglichkeiten, aber die Summe der einzelnen Punkte zeigt, was aus Bernhard Kohl noch werden kann. Auch wenn er selbst nicht daran glaubt, ich weiß, dass er ein Tour-Sieger ist. Das müssen wir uns vor Augen halten: Österreich hat plötzlich einen Fahrer, der die Tour de France gewinnen könnte - und das im Alter von nur 26 Jahren.

ORF.at: Wer die Tour gewinnen will, muss ein guter Zeitfahrer sein. Kann Kohl einer werden?

Zanier: Er ist ein guter Zeitfahrer. Daran haben wir fünf Jahre lang gearbeitet. Immer darauf bedacht, seine außergewöhnlichen Fähigkeiten auf dem Berg nicht zu beeinträchtigen. Um im Zeitfahren noch besser zu werden, müsste er an Masse zulegen und beim Klettern Abstriche machen. Das soll nicht sein und ist gar nicht notwendig, denn es zeichnet sich für die Zukunft ab, dass Top-Zeitfahrer - wie Ullrich und Armstrong früher - nicht mehr mit den Besten über die höchsten Gipfel klettern.

ORF.at: Die Tour wird in der Zukunft wieder in den Bergen entschieden?

Zanier: Vieles deutet darauf hin. Auch Cadel Evans kam diesmal im Gebirge oft nicht mehr mit. Ein Zeichen dafür, dass der Radsport in die richtige Richtung geht. Würden Super-Zeitfahrer wie Fabian Cancellara und Denis Mentschow bergauf keine Zeit verlieren, wären sie im Kampf um Gelb unschlagbar. So aber wird der Super-Bergfahrer, einer wie Bernhard Kohl, endlich wieder zum Favoriten auf den Gesamtsieg.

ORF.at: Vor zwei Jahren meinte Bernhard noch, dass er zum Tour-Sieger nicht geboren sei.

Zanier: Damals waren andere Voraussetzungen. Damals ging es um eine gewisse medizinische Betreuung, die ihm nicht möglich war. Das Bild war ein anderes. Es gab Fahrer, die mit hohem Gewicht über die Berge donnerten, so dass die Ohren nur so wackelten. Das ist heute nicht mehr möglich. Die Situation hat sich normalisiert. Es gibt keinen Fahrer mehr, der mit über 70 Kilogramm schnell berghoch fährt.

ORF.at: Hätten Sie Kohl eine derartige Leistungsexplosion zugetraut?

Zanier: Schon am Beginn unserer Zusammenarbeit, er war ein knapp 20-jähriger Amateur, hatte er enormes Adaptionspotenzial. Seine Leistungsfähigkeit war nicht besonders. Er holte zwar stets gute Rennplatzierungen, aber seine Laborwerte ließen zu wünschen übrig. Per speziellen, energetischen Verfahren ermittelten wir deshalb seine Adaptionsfähigkeit, auch die Stressadaption - und wir waren baff. Kohl war ein absoluter Ausreißer nach oben. So etwas hatten wir zuvor nie gesehen.

ORF.at: Was bedeutet das auf seine sportlichen Leistungen umgemünzt?

Zanier: Kohl kann unter Belastung unglaublich viel aus seinem Körper herausholen. Seine Fähigkeit, sich ins Rennen hineinzusteigern, ist enorm und eine Besonderheit. Zudem ist er leicht - von seiner Statur her der ideale Bergfahrer, und er ordnet seiner Karriere alles unter. Deshalb macht er in der Vorbereitung wenige Fehler und kann auf den Tag genau in Bestform sein.

ORF.at: Sind Sie als Coach mit seinen Trainingsleistungen zufrieden?

Zanier: Wir haben uns zu seinem Ziel gesetzt, eine eigene Trainingsintelligenz zu entwickeln. Denn will ich als Trainer einen Weltklassesportler heranerziehen, muss ich ihn dazu bringen, sich selbst zu verstehen. Und er weiß nun, was er spüren muss, um sich zu verbessern. Er ist unglaublich diszipliniert, steht nie später als 7.00 Uhr auf und beginnt sofort zu trainieren. Nur in der dreiwöchigen Trainingspause ist das anders.

ORF.at: Würden Sie ihn als verbissen bezeichnen?

Zanier: Nicht verbissen, er liebt seinen Beruf. Wenn er bei mir in Lienz ist und nach sieben Stunden harten Trainings in den Dolomiten zurückkommt - andere würden tot umfallen - ist er glücklich und erzählt, wie schön es nicht gewesen sei. Kohl liebt das Training, er liebt das Naturerlebnis. Das macht ihn aus.

ORF.at: Kohl liebt auch gutes Essen - bereitet Ihnen das im Winter manchmal Sorgen?

Zanier: Ein Jan Ullrich nahm in der Rennpause sogar 20 Kilogramm zu, Bernhard weniger, aber immerhin sieben. Ich finde das gut. Er kocht und isst leidenschaftlich gern - auch sein berühmtes Tiramisu und in großen Mengen. Durch den höheren Fettanteil ist er im Winter resistenter gegen Infekte und nahezu nie krank und hält den extremen Ausdauerbelastungen besser stand. Sobald die Saison näher kommt, ist er wieder diszipliniert, weil er weiß, dass sein Körper mit der Verdauung sonst mehr beschäftigt wäre als mit der Regeneration. Das hat er super im Griff.

Das Gespräch führte Michael Fruhmann, ORF.at

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