Windstille
Die Admiralität hat das rot-weiß-rote Flaggschiff auf einen Kurs nach Südafrika geschickt, aber den Kommandostand mit der Gewissheit, dass die Mission mit der jungen Mannschaft zum Fehlschlag wird, verlassen.
Und der Glaube an die Mannschaft ist auch im Volk schwer erschüttert. Die Meldungen von Misserfolgen und davon, dass sich die Mannschaft nur von der Strömung treiben lässt, ohne gegenzusteuern, manifestierten sich am Mittwoch beim Länderspiel gegen die Türkei - die Videos dazu auf insider.orf.at - im Stadion auch in der Stimmung: Auch bei den Fans herrschte Windstille.
Von den Fans ignoriert
Spruchbänder wie "Ohne Leidenschaft kein Support" waren zu lesen, die treuesten Fans ließen aus Protest gegen die letzten Leistungen den Block hinter dem Österreich-Tor in der Anfangsphase des Spiels leer. Das Happel-Stadion war fest in türkischer Hand.
Die Gästeanhänger jubelten schon beim Aufwärmen ihrer Helden lautstark zu, während sich Ivanschitz und Co. mehr oder weniger ignoriert von der Handvoll rot-weiß-roter Fans vorbereiteten. Der nötige Rückenwind zur Kurskorrektur der "MS Nationalteam" kann nur von der Mannschaft selbst kommen.
Weltmeister im Hoffnungschöpfen
Doch der heimische Fußballfan ist selbst Weltmeister, und zwar im Leiden und Hoffnungschöpfen. Beim ersten Anzeichen von ballesterischen Fähigkeiten erwacht der gelernte Österreicher und stimmt sofort "Immer wieder Österreich"-Rufe an.
Dass am Ende - wie zuletzt üblich - der Gegner jubelt, hat sich jedoch ebenfalls schon in den Köpfen der Fans, aber offensichtlich auch der Spieler festgesetzt.
Die Wurzel allen Übels
Die Ursachenforschung nach der 2:4-Heimpleite gegen zu Beginn verhalten agierende Türken drehte sich daher im Kreis und kam am Ende immer wieder auf denselben Punkt zurück.
"Fehler, Fehler, (immer) wieder Fehler", seufzte Teamchef Brückner, der übrigens schon vor seinem ÖFB-Engagement so weißhaarig war, nach dem unerfreulichen Ende der letzten Partie im aufregenden Länderspieljahr 2008.
"Mit der ersten Halbzeit können wir zumindest bis zur 40. Minute zufrieden sein, da haben wir sehr gut gespielt und waren viel besser als der Gegner. Durch Fehler, Fehler, wieder Fehler war dann in zehn Minuten aber das Spiel weg. Das ist unser Problem."
"Gegentreffer hat alles kaputt gemacht"
Auch Brückners "Erster Offizier" Jan Kocian sah das Spiel wie sein Chef: "Wir haben uns viel vorgenommen und 38 Minuten alles sehr gut umgesetzt. Individuelle Fehler von uns haben dem Gegner aber alles erleichtert und ihn aufgebaut. Die Türken haben das gnadenlos ausgenutzt, und wir sind bestraft worden. In der Pause haben wir uns noch einmal aufgeputscht, der schnelle Gegentreffer nach der Pause hat aber alles kaputt gemacht."
"Ich muss den Spielern aber auch ein Kompliment machen. Vor allem die junge Welle hat sich gut präsentiert", lobte der Slowake den "zweiten Anzug" des ÖFB-Teams, der keine Schuld am schlechten Abschneiden trug.
"Okotie musste verletzt ausgetauscht werden, hat aber eine gute Leistung gebracht. Auch Hölzl war gut und hat eine angenehme Überraschung abgeliefert. Arnautovic und Stankovic konnten Erfahrung sammeln", war auch Brückner zufrieden.
Garics ist "sauer"
Die Spieler selbst haderten mit dem Schicksal. "Wir haben engagiert begonnen und viel mehr Initiative als gegen Serbien gezeigt. Doch Fehler werden auf diesem Niveau einfach eiskalt bestraft. Natürlich haben die Türken auch Spieler mit Klasse", fasste Kapitän Andreas Ivanschitz das Spiel zusammen.
"Ich bin sauer. Sauer auf mich und auf die Situation im Team", sagte Atalanta-Kicker György Garcis enttäuscht. "Da spielst du sechs Wochen im Verein gut, dann kommst du hierher, und alles läuft falsch."
"Drei Schüsse, drei Treffer: Natürlich nagt so ein Spiel am Selbstvertrauen. So etwas kenne ich aus Hoffenheim nicht", meinte Verteidiger Andreas Ibertsberger, der bei den Toren zum 1:1 und 1:2 Fehler eingestand. "So was soll nicht passieren. Aber jetzt müssen wir die Köpfe zusammenstecken und überlegen, was falsch gelaufen ist."
Was läuft falsch?
Was falsch läuft im Team? Die Mannschaft hat den Faden verloren, statt Selbstvertrauen aus dem 3:1 gegen Frankreich zu tanken, geschah das Gegenteil. Ein geeigneter Kurs für die Spielweise des Teams wird gesucht, die einzelnen Mannschaftsteile schwanken in ihren Leistungen.
Steht die Abwehr hervorragend, lässt die Offensive aus - wie bei der EM. Seither ist im Team weniger Dynamik zu spüren, doch die Offensive (inklusive Mittelfeld) zeigt sich torgefährlicher, während jetzt in der Abwehr schwere Stellungs- und Konzentrationsfehler Erfolge verhindern.
"Bringen unsere Leistung nicht"
"Unser größtes Manko ist, dass wir 90 Minuten eine konzentrierte Leistung bringen. Wir bringen unsere Leistung nicht", so Spartak-Moskau-Reservist Martin Stranzl, der zu Beginn souverän spielte, dann aber auch immer unsicherer wurde.
Wie viele Spieler im Team glaubt auch Torino-Legionär Jürgen Säumel an diese Mannschaft: "Sie ist jung und hat Potenzial, das wir umsetzen müssen. Das Ziel WM 2010 kam zu früh. Wir müssen die Quali nutzen, um ein Team aufzubauen und die Mannschaft zu festigen."
Ivanschitz: "Die Spieler sind mehr gefordert als der Trainer, denn sie müssen am Feld ihre Leistung bringen. Das System des Trainers ist klar, die Umsetzung liegt aber an uns."
Vorbild Türkei
Wohin Selbstvertrauen und Erfahrung - natürlich gepaart mit einem Schuss individueller Klasse - ein Team bringen können, bewies die Türkei. Dieselben Tugenden wie beim sensationellen Lauf in das EM-Semifinale wurden sichtbar, eine Lektion für das ÖFB-Team.
"Die Mentalität der Türken ist es, immer wieder aufzustehen. Ein 0:1 oder 0:2 ist für uns kein Problem", sagte Türkei-Teamchef Fatih Terim. "Am Anfang hatten wir Probleme mit der Konzentration. Es ist nie leicht, sich für einen Test zu motivieren. Nach dem 0:1 haben wir es aber viel ernster genommen, denn es ist um das Prestige gegangen."
"Hätten etwas Besseres verdient"
Tormanndebütant Michael Gspurning, der sich sein erstes ÖFB-Spiel "natürlich nicht so vorgestellt" hatte, brachte es trotz vier Gegentoren auf den Punkt: "Die Türken waren im Spielaufbau sehr schnell. Wir waren 30 Minuten sehr gut, dann fehlte uns die Abgeklärtheit. Aber die Mannschaft hätte zum Jahresabschluss etwas Besseres verdient. Aus solchen Spielen kann man nur lernen."
Martin Wagner, Christian Wagner, ORF.at
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