"Ein Kind aus Favoriten"

"Er hatte Geist in den Beinen."
Der Spitzname von Matthias Sindelar war der "Papierene". Wohl, weil er groß, schmächtig und irgendwie nicht zu greifen war, wenn er in den 20er und 30er Jahren auf dem Fußballfeld durch die Reihen seiner Gegner tänzelte und die Massen begeisterte.

Als Kapitän des Wunderteams, das von 1931 bis 1933 in Europa für Furore sorgte, war er das Synonym für die Glanzzeit der Wiener Fußballschule. Heute ist es 70 Jahre her, dass man seinen Tod entdeckte. Sindelar wurde nicht einmal 36 Jahre alt.

Inbegriff des "Scheiberlspiels"
Dass er am 10. Februar 1903 als Sohn eines Maurers im mährischen Dorf Kozlov geboren und erst später nach Wien übersiedelt war, passt da auch gut ins Bild. Auf den Resten der Monarchie entstand in Österreich das technisch feine "Scheiberlspiel", das bis zur Perfektion gebracht wurde.

In Wien lebte Sindelar wie Zehntausende andere zugewanderte Tschechen im Arbeiterbezirk Favoriten, wo er bei Hertha seine Karriere begann. 1924 wechselte er zu den Amateuren, die zwei Jahre später in Austria umbenannt wurden. Dort gewann er unter anderem zweimal den Mitropacup, eine Art Vorläufer des Europacups.

43 Teamspiele mit 27 Toren
43-mal trug er den Nationaldress (Debüt 1926 bei einem 2:1 gegen die Tschechoslowakei in Prag, letztes Spiel 1937 bei einem 4:3 gegen die Schweiz in Wien), dabei erzielte er 27 Tore.

Als Wunderteam-Ära gelten jene zwei Jahre, in denen das Team von 15 Länderkämpfen zwölf gewann, zweimal auswärts remisierte und nur ein einziges Mal verlor: am 7. Dezember 1932 äußerst ehrenvoll in London mit 3:4 an der Stamford Bridge gegen England. Dazu kam noch das "Anschlussspiel" zwischen der "Ostmark" und dem reichsdeutschen Team im April 1938.

Prominente Fans und Verehrer
Zu seinen Fans zählten auch Schriftsteller wie Friedrich Torberg und Alfred Polgar, der einmal schrieb: "Er hatte sozusagen Geist in den Beinen. Es fiel ihnen, im Laufen, eine Menge Überraschendes, Plötzliches ein, und Sindelars Schuss aufs Tor traf wie eine glänzende Pointe, von der aus der meisterliche Aufbau der Geschichte, deren Krönung sie bildete, erst recht zu verstehen und würdigen war."

Damals begann der Fußball auch erstmals breite Teile der Bevölkerung zu faszinieren. Bei einem Länderspiel gegen Italien (0:0) im April 1923 kamen etwa 85.000 Menschen auf die Hohe Warte.

Auslandsangebote abgelehnt
Sindelars Ruhm reichte aber weit über die Grenzen Wiens hinaus. Er erhielt auch lukrative Angebote aus England, die er aber mit der Begründung ablehnte, dass "das britische Weltreich" ohnedies über genügend Klassespieler verfüge und es daher auf einen mehr oder weniger auch nicht mehr ankomme.

Auf dem Spielfeld ein ausdrucksstarker Künstler, war er laut Zeitgenossen privat eher zurückhaltend-introvertiert und auf Sicherheit bedacht. So legte er Wert auf ein zweites berufliches Standbein als Sportartikelhändler. In der Freizeit pflegte er seinen Schrebergarten.

Trotzdem verstand er es, Bekanntheitsgrad und Beliebtheit auch in bare Münze umzuwandeln. Er warb etwa für Sauermilch und Armbanduhren, es gab einen eigenen "Sindelar-Ball", und im Operettenfilm "Roxy und ihr Wunderteam" war er sogar abseits der "Wochenschau" im Kino zu sehen.

Todesumstände nicht völlig geklärt
Die Mythenbildung um seine Person wurde auch durch die bis heute nicht völlig geklärten Umstände seines frühen Todes genährt. Am 23. Jänner 1939 wurden Sindelar und seine Freundin Camilla Castagnola in deren Wohnung in der Annagasse tot aufgefunden.

Im Polizeibericht war von "Kohlenoxydvergiftung infolge eines schadhaften Ofens" die Rede. Allerdings ereiferten sich die Zeitungen in Spekulationen über ein mögliches Verbrechen. In der Bevölkerung wurde sowohl über kriminelle als auch politische Gründe gemunkelt.

Mythos und Kratzer für das Image
Tatsächlich galt Sindelar lange als dezidierter Gegner der Nationalsozialisten. Ein Mythos, der vor allem durch das Gedicht "Auf den Tod eines Fußballspielers" ("Er war ein Kind aus Favoriten ...") von Torberg genährt worden war, das nahelegte, dass sich der "Papierene" wegen der Nazis selbst umgebracht hatte.

Kratzer bekam dieses Image erst zu Sindelars 100. Geburtstag im Jahr 2003. Damals veröffentlichte die jüdische Zeitschrift "Nu" einen Bericht, wonach Sindelar nach dem "Anschluss" 1938 als "Profiteur" ein arisiertes Cafe in Wien-Favoriten übernommen hatte.

Hinweis: Ö1 sendet ein Hörspiel zum Tod von Matthias Sindelar.

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