Sindelar als Sinnbild

Der Mythos lebt weiter.
"Das Tor, durch das er dann geschritten, lag stumm und dunkel ganz und gar. Er war ein Kind aus Favoriten und hieß Matthias Sindelar." Es war nicht zuletzt die berühmte Ballade "Auf den Tod eines Fußballspielers" von Friedrich Torberg, die den Mythos des "Papierenen" über die Generationen forttrug.

Am 23. Jänner 1939 fand man die Leiche des erst 35-Jährigen, er überlebte den "Anschluss" Österreichs an Nazi-Deutschland also nicht einmal um ein Jahr. Der Zweite Weltkrieg hatte noch nicht begonnen. Wehrmachtsvergangenheit oder Ähnliches hatte Sindelar also nicht, dennoch ist er eine Art Sinnbild des Umgangs Österreichs mit seiner Geschichte. Sein Mythos als Gegner der Nazis begann erst spät zu bröckeln.

"Ein andrer Gegner in die Quere trat"
Dabei war es gerade ein jüdischer Schriftsteller im Exil, der diese Inkarnation des körperlosen "Scheiberlspiels" Altwiener Schule im kollektiven Gedächtnis als Gegenspieler der Nationalsozialisten verankerte.

Mit folgenden Sätzen insinuierte Torberg, dass sich Sindelar wegen des NS-Regimes selbst das Leben nahm: "Es jubelte die Hohe Warte, der Prater und das Stadion, wenn er den Gegner lächelnd narrte und zog ihm flinken Laufs davon - bis eines Tags ein andrer Gegner ihm jählings in die Quere trat, ein fremd und furchtbar überlegner, vor dem's nicht Regel gab noch Rat. (...) Er war gewohnt zu kombinieren, und kombinierte manchen Tag. Sein Überblick ließ ihn erspüren, dass seine Chance im Gashahn lag."

Polizeibericht: Schadhafter Ofen
Obwohl der Fall nie endgültig geklärt wurde, dürfte es sich jedoch um die Folgen eines Unfalls gehandelt haben, als Sindelar und seine etwas ältere Freundin Camilla Castagnola tot entdeckt wurden.

Im Polizeibericht war jedenfalls von "Kohlenoxydvergiftung infolge eines schadhaften Ofens" die Rede. Die Nazis versuchten ihrerseits, Sindelars Begräbnis mit 15.000 Menschen zu vereinnahmen, indem sie es zu einem Staatsakt umfunktionierten.

"Fußball, wie ein Meister Schach spielt"
Doch es waren Torberg und sein Dichterkollege Alfred Polgar, die Sindelar förmlich kanonisierten. "Der brave Sindelar folgte der Stadt, deren Kind und Stolz er war, in den Tod. Er war so verwachsen mit ihr, dass er sterben musste, als sie starb. Aus Treue zur Heimat - alles spricht dafür - hat er sich umgebracht", schrieb Polgar am 25. Jänner im Emigrantenblatt "Pariser Tageszeitung".

Schon zuvor hatte er dem "Papierenen" attestiert, er habe Fußball gespielt, "wie ein Meister Schach spielt". Derart wurde der Nimbus des Fußball-Widerständlers geboren, dem Geschichtsverständnis im Nachkriegs-Österreich kam dieser umso mehr zupass. Um ein neues Österreich-Bewusstsein aufzubauen, wurde auf jene wenigen positiven Aspekte und Gemeinsamkeiten zurückgegriffen, die es in der Ersten Republik gegeben hatte.

Sindelar gehörte da zweifellos dazu. Es ist auch bezeichnend, dass jenes berühmte Gemälde des Wunderteams vor der legendären 3:4-Niederlage gegen England erst nach dem Krieg in Auftrag gegeben wurde.

Torjubel im "Anschlussspiel"
Gerne wurden nun Geschichten erzählt wie jene, dass Sindelar zum jüdischen Arzt Emanuel "Michl" Schwarz nach dessen Absetzung als Austria-Präsident sagte: "I, Herr Doktor, werd' Ihna oba immer griaß'n." Auch das "Anschlussspiel" zwischen der "Ostmark" und einer reichsdeutschen Auswahl am 3. April 1938 war der Legendenbildung förderlich.

Angeblich war von den politisch Mächtigen ein Unentschieden vorgesehen gewesen. Sindelar, der als Kapitän auch auf rot-weißen Dressen bestand, soll als demonstrative Demütigung der Deutschen reihenweise erstklassige Torchancen absichtlich vergeben haben, ehe er doch noch einen Treffer zum 2:0-Sieg der "Österreicher" beisteuerte und diesen den Überlieferungen zufolge überschwänglich feierte.

Später verzichtete er darauf, für das Deutsche Reich Länderspiele zu bestreiten.

"Arisiertes" Kaffeehaus übernommen
Ein Faktum ist aber auch, dass Sindelar 1938 ein "arisiertes" Kaffeehaus in Wien-Favoriten übernommen hatte, wobei der Vorbesitzer, Leopold Simon Drill zum Verkauf gezwungen worden war.

Kritiker sind der Ansicht, dass auch die kolportierte Bereitschaft Sindelars, einen "angemessenen Preis" zu bezahlen, dem Bemühen entsprach, das "Denkmal" nicht anzukratzen. Fürsprecher wie der langjährige Austria-Sekretär Norbert Lopper, der Österreich 1938 selbst verlassen musste, hielten ihm freilich die Stange: "Sindelar war ein populärer Antifaschist. Er wollte den Schaden für Drill minimieren."

Zwar hatte der Berufsfußballer beim Antragsformular zur Übernahme noch angegeben, kein NSDAP-Mitglied zu sein, später hieß es aber in einem Schreiben der "Arisierungsstelle", dass "gegen den Parteigenossen Sindelar keine Bedenken bestehen".

Hinweis: Ö1 sendet ein Hörspiel zum Tod von Matthias Sindelar.

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