Totenstille vor dem Start

Franz Klammer bei seinem ersten Streif-Kontakt: "Ich habe gesagt: Da fahre ich nicht runter."
Wer die Streif bezwingen will, muss eine Mischung aus Skifahrer und Rodeoreiter sein. Die Strecke in Kitzbühel ist nämlich vergleichbar mit einem wilden Stier.

Wer mit Ski auf ihr talwärts reiten will, muss damit rechnen, abgeworfen zu werden. Nicht selten werden im selben Atemzug mit der 3.312 Meter langen Strecke die Adjektive "mörderisch" und "brutal" genannt.

Mythos und Realität
Der Mythos Streif kommt nicht von ungefähr, bezahlten doch viele den "Höllenritt" mit Knochenbrüchen, Bänderrissen und Zertrümmerungen.

Bei keiner Weltcup-Abfahrt ist der Skifahrer für den TV-Konsumenten so oft in Sturzgefahr wie in Kitzbühel. Sicher ein Hauptgrund, warum die Streif für Zuschauer so reizvoll ist.

"Jeder hat genug mit sich selbst zu tun"
Dabei verstecken sich die Schlüsselstellen hinter harmlosen Namen wie Steilhangausfahrt, Mausefalle, Seidlalm, Traverse und Hausbergkante - doch so manche Karriere endete dort.

"Bei normalen Weltcup-Rennen scherzen und plaudern die Fahrer noch vor dem Start miteinander, doch bei der Streif herrscht Totenstille - hat jeder genug mit sich selbst zu tun", gab der Deutsche Max Rauffer, der im Jahr 2001 gleich zweimal abgeworfen wurde, einmal zu Protokoll.

"Da fahre ich nicht runter"
Seit 1931 werden auf der Streif Abfahrten absolviert. Die 77-jährige Geschichte der legendären Strecke ist voll von großen Siegen - und von schlimmen Unfällen.

"Als ich das erste Mal oben stand", so der vierfache Sieger Franz Klammer, "habe ich die Hosen voll gehabt - ganz ehrlich, ich habe gesagt: Da fahre ich nicht runter."

Akja statt Gondel
Während Seilbahngondeln die Namen von Größen wie eben Klammer, Toni Sailer, Jean-Claude Killy, Pirmin Zurbriggen und Stefan Eberharter tragen, landeten die weniger Glücklichen im Akja oder Hubschrauber.

Anonym blieben sie trotzdem nicht, denn auch ihre Abflüge sind noch in Erinnerung und gingen in die Streif-Geschichte ein.

©Bild: GEPA/Maurice Shourot
©Bild: GEPA/Maurice Shourot
Brian Stemmle: Der Kanadier lieferte im Jahr 1989 den wohl spektakulärsten Sturz. Der damals 22-Jährige wurde bei der Steilhangausfahrt ins Netz katapultiert und schwebte mit einer Beckenzertrümmerung und inneren Verletzungen in Lebensgefahr.

Viereinhalb Jahre später wurde der Kitzbüheler Skiclub zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt. Bei seinem Comeback auf der Streif im Jahr 1994 wurde Stemmle 45. Fünf Jahre später war dann die Karriere endgültig vorbei, als er neuerlich in Kitzbühel stürzte und sich an der Hausbergkante eine Eckgelenkszerreißung der Schulter zuzog.

©Bild: GEPA/Johann Stroh
©Bild: GEPA/Johann Stroh
Patrick Ortlieb: Im Jahr 1994 konnte der Olympiasieger von 1992 auf der Streif gewinnen, fünf Jahre später beendete ein schwerer Sturz in Kitzbühel seine Karriere. Statt in seiner letzten Saison noch einmal um den WM-Titel zu kämpfen, landete der Vorarlberger im Spital.

Nach einem Horrorabflug auf der Hausbergkante lautete die Diagnose: Trümmerbruch im rechten Oberschenkel, Absplitterung an der Hüftpfanne, Seitenbandriss im Knie und leichte Lungenquetschung. Ein wochenlanger Aufenthalt im Bett war die Folge.

©Bild: GEPA/Guenter Floeck
©Bild: GEPA/Guenter Floeck
Pietro Vitalini: Der Italiener hatte im Jahr 1995 unwahrscheinliches Glück im Unglück. Vitalini verlor bei Höchstgeschwindigkeit in der Traverse die Kontrolle über seine Ski und wurde über den Sicherheitszaun geschleudert.

Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte es zuvor nicht tagelang geschneit, denn Vitalini überschlug sich Hunderte Meter den Hang hinunter und verfehlte eine Metallstütze nur um wenige Meter. Im Ziel lachte Vitalini bald wieder und verkündete: "Ich starte in der zweiten Abfahrt", wo er Fünfter wurde.

Klaus Gattermann: Der Deutsche blieb vor allem durch seinen haarsträubenden Sturz in der Kitzbühel-Abfahrt 1985 in Erinnerung. Bei Tempo 130 stürzte Gattermann und überschlug sich mehrmals auf der eisigen Piste und erlitt Wirbelverletzungen, eine Gehirnschütterung und einen Nasenbeinbruch.

Todd Brooker: Dem letzten Mitglied der "Crazy Canucks" wurde 1987 die Einfahrt zum Zielhang zum Verhängnis. Der Serienüberschlag endete mit einer Bänderverletzung im linken Knie, einem offenen Nasenbeinbruch, einer Ellbogenverletzung und einer Gehirnerschütterung.

"Ich wollte meine Laufbahn immer mit einem Sieg in einem großen Rennen, also mit etwas Außergewöhnlichem, beenden. Nun, wenn man es genau betrachtet, war mein kapitaler Sturz auch nicht ohne", sagte Brooker.

Bill Hudson: Das Abfahrtstraining für die Abfahrt 1991 blieb einigen Läufern in unliebsamer Erinnerung. Der Deutsche Markus Wasmaier brach seine Fahrt sogar ab: "Ich hatte Angst, da ging es fast nur noch ums Überleben."

Bill Hudson hätte wohl das Gleiche tun sollen. Dem US-Amerikaner wurde die Mausefalle zum Verhängnis. Das Resultat: Schulterblattbruch, Fraktur des vierten Brustwirbelkörpers, Speichenbruch links, Lungenverletzung.

©Bild: APA/Robert Jaeger
©Bild: APA/Robert Jaeger
Josef Strobl: Keine sonderlich herzliche Beziehung kam zwischen der Streif und Josef Strobl auf. Im Jahr 1996 kam der Tiroler bei einem Trainingssturz mit einer Gehirnerschütterung davon.

©Bild: APA/Rubra
©Bild: APA/Rubra
Sechs Jahre später war die Diagnose schon weit schlimmer. Unter dem Druck der Olympia-Qualifikation riskierte der damals 28-Jährige bereits im Training sehr viel. In der Kompression vor dem Zielsprung stürzte er, so dass sein linkes Knie fast völlig zerstört wurde.

©Bild: AP/Claudio Scaccini; APA/Rudolf Brandstaetter (Montage)
©Bild: AP/Claudio Scaccini; APA/Rudolf Brandstaetter (Montage)
Roland Assinger: Der Sturz eines Familienmitgliedes ist immer unangenehm. Wenn man dieses Ereignis aber auch noch live kommentieren muss, dann wird es zum Drama. Passiert ist das ORF-Moderator Armin Assinger, der 1998 den schweren Sturz seines Bruders Roland und den anschließenden Abtransport durch den Helikopter vor dem Mikro miterlebte.

Der jüngere Assinger erlitt bei dem frontalen Aufprall mit 100 km/h in der Streckenbegrenzung eine Schulterluxation mit einer Knochenabsplitterung, Rippenprellungen und eine Schnittwunde am Daumen, die unter Vollnarkose genäht werden musste.

©Bild: APA/Guenther Schiffmann
©Bild: APA/Guenther Schiffmann
Thomas Graggaber: Rippenserienfraktur links, ein Oberarmkopfbruch und eine verletzte Lunge sind die Andenken an das Kitzbühel-Training im Jahr 2005.

Wegen des erlittenen Pneumothorax musste der Salzburger einige Tage einen Schlauch im Brustbereich tragen. Zugezogen hatte sich Graggaber die schweren Verletzungen nach einem verpatzten Sprung an der Hausbergkante, der schließlich kopfüber in den Fangzäunen endete.

Andreas Buder: Die Hausbergkante wurde im Vorjahr auch dem Niederösterreicher zum Verhängnis. Nach einem Trainingssturz landete Buder im Sicherheitsnetz und zog sich einen Bruch des rechten Schienbeinkopfes zu. Seither hat er kein Rennen mehr bestritten und sein Comeback wegen anhaltender Schmerzen auf die nächste Saison verschieben müssen.

©Bild: APA/Helmut Fohringer
©Bild: APA/Helmut Fohringer
Scott Macartney: Noch schlimmer sah der Horrorcrash des US-Amerikaners beim Zielsprung aus, der an seinem 30. Geburtstag wie heuer der Schweizer Daniel Albrecht mit rund 140 km/h auf der pickelharten Piste aufschlug und nach einigen Zuckungen das Bewusstsein verlor. Macartney erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und musste vorübergehend ins künstliche Koma versetzt werden.

Ende November gab er zwar sein Weltcup-Comeback, die heurige Hahnenkamm-Abfahrt verpasste Macartney allerdings wegen einer Knieblessur, die er sich bei der Lauberhorn-Abfahrt in Wengen zugezogen hatte.

Christian Wagner, ORF.at

Link: