Nach der historischen Champions-League-Pleite des FC Bayern München beim FC Barcelona droht das Projekt des nach dem 0:4 schwer gezeichneten Jürgen Klinsmann nach nicht einmal zehn Monaten ein unrühmliches Ende zu nehmen.
Stolz mit Füßen getreten
"Wir sind ein stolzer Club. Dieser Stolz ist heute Abend zum Teil - speziell in der ersten Halbzeit - mit Füßen getreten worden", sagte ein schwer atmender Vorstandschef Rummenigge im Hotel Rey Juan Carlos bei seiner nächtlichen Bankettansprache.
"Ich weiß nicht, was ich mehr bin - schockiert, traurig oder wütend über das, was wir heute Abend hier gesehen haben."
Zweites Debakel in Folge
Dem 1:5 in der deutschen Bundesliga gegen Wolfsburg folgte nun das 0:4 im Viertelfinal-Hinspiel der Eliteliga gegen Barcelona - derartig gedemütigt wurde der glorreiche Club vielleicht noch nie in seiner mehr als 46 Jahre langen Europacup-Geschichte.
"Eine Katastrophe. Die erste Halbzeit war das Fürchterlichste, was ich je vom FC Bayern gesehen habe", begriff Bayern-Ikone Beckenbauer das Aufeinandertreffen zweier Fußballwelten überhaupt nicht. "Es wurde zuletzt genug geredet, doch die Spieler haben es nicht kapiert."
Über die Treffer von Lionel Messi (9., 38.), Samuel Eto'o (13.) und Thierry Henry (43.) konnte der "Kaiser" in der pechschwarzen Bayern-Stunde dagegen nur staunen.
Barcelona ließ Gnade walten
Dass die hilf-, mut- und chancenlosen Münchner am Mittwochabend im Camp Nou nicht zweistellig untergingen, war mehr als den eigenen Fähigkeiten den Barcelona-Spielern zu verdanken, denn die stellten nach der Pause das Toreschießen ein.
Rummenigge entschuldigt sich
"Ich habe unseren alten Freund Udo Lattek in der Halbzeit gesehen: Er hat geweint. Ich weiß nicht, ob es Tränen der Wut oder Tränen der Traurigkeit oder Trauer waren. Aber es war signifikant für das, was wir leider hier gesehen haben", sagte Rummenigge im Saal Mare Nostrum und bat die rund 400 Gäste um Verzeihung.
"Ich muss mich bei allen, die dem FC Bayern nahestehen, entschuldigen. Das ist ein ganz bitterer Moment, den wir erleben."
Bescheidene Klinsmann-Bilanz
Zwar betonte der Vorstandschef, man solle "rational" bleiben und keine "spontanen, unsinnigen Entscheidungen" treffen - aber sportliche Argumente für eine weitere Zukunft mit Trainer Klinsmann gibt es kaum. Vieles hat der 44-Jährige angepackt, Erfolge sind ihm in der laufenden Saison praktisch keine geglückt.
Bayern ist als Double-Gewinner aus dem Vorjahr mit der Barca-Lektion in der Champions League so gut wie ausgeschieden, im DFB-Pokal ist die Mannschaft auch nicht mehr dabei, und in der Bundesliga droht der aktuelle Tabellenvierte wie vor zwei Jahren die Königsklasse zu verpassen.
"Wir müssen retten, was zu retten ist, das heißt: In den acht Spielen in der Bundesliga müssen wir jetzt trotzdem versuchen, unsere Ziele zu erreichen", formulierte Rummenigge eine Kampfansage, die stark nach Durchhalteparole klang.
Wie ein angeschlagener Boxer
Nie zuvor haben sich Manager Uli Hoeneß und Rummenigge so eng an einen Coach gebunden wie an Klinsmann. Doch im Zweifel wird dem ehemaligen Bundestrainer das wohl nicht helfen, denn es zählt allein der sportliche Erfolg.
Alles hat der 44-Jährige seinem Ziel untergeordnet, den FC Bayern wieder an die europäische Spitze heranzuführen - Barcelona ist derzeit Lichtjahre entfernt.
"Das ist ein Moment, wo man einiges einstecken muss. Das ist nicht angenehm, aber als Trainer muss man sich der Kritik stellen", sagte Klinsmann, der kurz nach dem Spiel wie ein angeschlagener Boxer wirkte. "Ich denke, dass ich die Mannschaft sehr wohl erreiche."
Klinsmann will weitermachen
Die Lust an seinem Job sei ihm "in keinster Weise" vergangen, sagte Klinsmann am Donnerstag in Barcelona vor dem Heimflug nach München.
Den Meistertitel erklärte er zur Pflicht: "Daran wird der Trainer und jeder einzelne Spieler gemessen. Jetzt weiß die Mannschaft, dass es fünf vor zwölf ist. Aber ich weiß, was in ihr steckt, und habe keine Zweifel, dass sie eine Reaktion zeigt am Samstag." Gegner in München ist Eintracht Frankfurt.
Jedes Spiel ein Schicksalsspiel
Falls Klinsmann vorerst bleiben darf, werden alle Bundesliga-Partien für ihn zum Endspiel. Denn jetzt geht es für die Bayern nur noch um Schadensbegrenzung.
Spätestens wenn das Minimalziel Platz zwei und damit die direkte Qualifikation zur Champions League gefährdet ist, bleibt den Bayern-Bossen eigentlich keine andere Wahl als ein Trainerwechsel.
"Unmittelbar nach dem Spiel hat es keinen Sinn, Grundsatzdiskussionen zu führen. Wir werden jetzt darüber schlafen und das Spiel analysieren", sagte Hoeneß.
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