Marathon ist Erfahrungssache

Günther Weidlinger lässt sich nun seinen Leistenbruch operieren.
Der österreichische Marathonrekord von Gerhard Hartmann hat am Sonntag einen weiteren Angriff überstanden und bleibt somit zumindest ein weiteres halbes Jahr bestehen.

Günther Weidlingers Anlauf auf die 23 Jahre alte Bestmarke von 2:12:22 Stunden scheiterte am Sonntag beim 26. Vienna City Marathon (VCM) um gerade einmal 17 Sekunden, angesichts der Streckenlänge von 42,195 km nicht viel mehr als ein Wimpernschlag.

Wie schon viele Debütanten vor ihm, egal ob Spitzen- oder Hobbyläufer, musste der 31-Jährige in seinem ersten Marathon Lehrgeld zahlen.

Bis 35 km voll im Plan
Dabei hatte sich Weidlinger laut eigenen Angaben nahezu perfekt vorbereitet und auch seine von vielen Experten als eher vorsichtig eingestufte Renntaktik lange exakt eingehalten.

Bis Kilometer 35 lief er genau nach Plan (Halbmarathon-Durchgangszeit 1:05:59) und lag nur einige Sekunden unter der ganz auf den Rekord ausgerichteten Marschroute.

Dann beendeten seine Tempomacher aber das Rennen, und ganz nach der gängigen "Laufweisheit", dass ein Marathon erst bei 35 Kilomtern so richtig anfängt, begann auch Weidlinger die ungewohnte Distanz (im Training war er maximal 38 km gelaufen) zu spüren.

Vergeblicher Kampf
Zunächst kämpfte der Oberösterreicher noch wacker um seine Chance auf eine neue ÖLV-Bestmarke, selbst bei Kilometer 40 (2:05:13) wäre diese noch drinnen gewesen, hätte er sein Tempo halbwegs halten können.

Danach traf ihn der "Mann mit dem Hammer" aber mit voller Wucht, und Weidlinger konnte sich mit extremen Schmerzen in den Beinen "mit dem letzten Benzin" nur noch ins Ziel retten.

Unmittelbar nach der Zielinie auf dem Heldenplatz taumelte er zu Boden und lag lange auf dem Aspahlt, ehe er sich wieder aufraffte und den Zuschauern mit einer kleiner Ehrenrunde für ihre Unterstützung dankte.

Kein schlechtes Debüt
Mit entsprechendem Abstand konnte sich Weidlinger schließlich doch ein wenig über seine alles in allem gesehen starke Debütleistung und die bisher zweitbeste Marathonzeit eines Österreichers freuen.

"Ich bin sicher, dass es mit dem Rekord klappen und einmal in den Ergebnislisten stehen wird: Günther Weidlinger, 2:0 und irgendwas", dachte der ehemalige Hindernisspezialist bereits an seine großen Marathonziele für die Zukunft.

Leistenbruch wird operiert
Zunächst steht ihm aber eine Zwangspause bevor: Wie er erst nach dem Rennen bekanntgab, lief Weidlinger nämlich die letzten Monate mit einem Leistenbruch, den er erst jetzt operieren lässt. Als Ausrede für den verpassten Rekord wollte er die Verletzung aber ausdrücklich nicht gelten lassen.

Sehr wohl gab er hingegen zu, sich mit der Rekordankündigung selbst unter Druck gesetzt zu haben. Allerdings nicht ganz freiwillig, wie er im Ziel andeutete. Hätte er nämlich gesagt, er wolle 2:14 laufen, hätte ihm das niemand geglaubt, sagte der Oberösterreicher.

Hartnäckige Rekordmarke
Angesichts seines läuferischen Potenzials (Halbmarathon-Rekord 1:01:42) und der am Sonntag gewonnenen Erfahrung sollte es Weidlinger schon in einem der nächsten Versuche gelingen, die Hartmann-Marke zu knacken.

Seit 1986 hielt diese allen Angriffen hartnäckig stand, zumindest daran gekratzt hatten vor Weidlinger Helmut Stuhlpfarrer (1988/2:13:08), Helmut Schmuck (1990/2:13:17), Max Wenisch (1996/2:13:49) und Michael Buchleitner (1999/2:12:43).

Auch Gebrselassie musste warten
Mut sollten Weidlinger auch die Beispiele anderer Spitzenläufer geben, die bei ihrem ersten Marathon die Erwartungen nicht ganz erfüllen konnten. Haile Gebrselassie etwa war als vielfacher Olympiasieger, Weltmeister und Weltrekordler von der Bahn auf die Straße gewechselt und dort auf Anhieb Halbmarathon-Weltmeister geworden.

Im Vorfeld seines ersten ernsthaften Wettkampfes über die klassische Distanz, dem London-Marathon 2002, war für manche Experten die einzige Frage, um wie viel der Äthiopier den Weltrekord zertrümmern würde. Während Gebrselassie aber seinem hohen Anfangstempo Tribut zollen musste und mit (allerdings immer noch achtbaren) 2:06:35 nur Dritter wurde, holte sich der aus Marokko stammende US-Amerikaner Khalid Khannouchi in 2:05:38 Sieg und Weltrekord.

Auch Gebrselassies nächste Rekordanläufe (2006 in London, Berlin und Fukuoka) blieben erfolglos, 2007 musste er in London sogar aufgeben. Am 30. September 2007 war es beim Berlin-Marathon aber dann so weit: Mit 2:04:26 kürte er sich endlich auch zum Marathon-Weltrekordler. Im Siegesinterview entschuldigte Gebrselassie sich aber, dass es nicht zur angekündigten 2:03er-Zeit gereicht hatte. Dieses Manko behob er dann ein Jahr später an gleicher Stelle, als er mit 2:03:59 die aktuelle Bestmarke aufstellte.

Rudolf Srb, ORF.at

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