Wimbledon im Wandel

Nach dem Schließen das Daches müssen die Spieler noch eine halbe Stunde warten, bis es weitergeht.
Am Montag, dem 29. Juni, um 16.47 Uhr Ortszeit (17.47 Uhr MESZ) war es so weit: Zum ersten Mal in der 132-jährigen Geschichte des Turniers wurde bei den All England Championships in Wimbledon nicht unter freiem Himmel gespielt.

Über dem "heiligen Rasen" des Centre-Courts wurde das neue fahrbare Dach geschlossen.

Die russische Weltranglisten-Erste Dinara Safina und Amelie Mauresmo (FRA) standen auf dem Platz, als der erste Regen beim heurigen Turnier die Achtelfinal-Partie beim Stand von 6:4 1:4 aus Sicht der Französin unterbrach.

Fans begeistert
Unter dem Beifall der 15.000 Zuschauer in dem für kolportierte 100 Millionen Pfund (derzeit 117 Mio. Euro) ausgebauten Stadion wurde das Ziehharmonikadach gleich in rund zehn Minuten über das Stadion gezogen.

©Bild: AP/Eddie Keogh
©Bild: AP/Eddie Keogh
Die 5.200 Quadratmeter große Konstruktion ist knapp 16 Meter über dem Rasen angebracht und wird nur bei Regen geschlossen.

Bitte warten
Dann allerdings dauert es noch eine halbe Stunde, bis sich das sensible Innenklima stabilisiert hat und die Matches fortgesetzt werden können. Das Dach einfach zu schließen, reicht nämlich nicht.

Die Raumtemperatur muss 22 bis 26 Grad, die Luftfeuchtigkeit 45 bis 55 Prozent betragen. Sonst könnte es Probleme geben, wenn der Rasen zu feucht und damit rutschig würde.

Regen gibt Kurzauftritt
Fast wirkte es, als hätten die Wimbledon-Organisatoren extra einen Regenmacher bestellt, um endlich ihr neues Spielzeug auszuprobieren, denn kaum war die Prozedur abgeschlossen, war der Regen auch schon wieder vorbei.

"Wir haben das Dach nicht gebaut, weil wir auf Regen hoffen, sondern damit wir auch bei Regen weiterspielen können", betonte der Geschäftsführer des All England Lawn Tennis & Crocket Clubs, Ian Ritchie.

Kathedrale des Tennis
Am 17. Mai wurde die neue Attraktion bei einem Spiel der Tennislegenden Andre Agassi, Steffi Graf, Kim Clijsters und Tim Henman eingeweiht. "Jedes Mal, wenn Wimbledon mit Traditionen bricht, musst du dabei sein", sagte Agassi.

Das Schließen "in sieben Minuten und vier Sekunden löste ein Gefühl von Erstaunen aus, das gewöhnlich dem Erstbesucher der Sixtinischen Kapelle überkommt", schrieb am nächsten Tag die "Times".

Jahrzehntelanger Streit
Für das Dach war jahrzehntelang gestritten worden. Die Traditionalisten wollten nicht, doch die TV-Stationen drohten. Sie hatten genug vom ewigen Senden alter Aufzeichnungen aus Wimbledon. Das TV-Geld siegte.

Harte Konkurrenz
Wimbledon konnte sich den Neuerungen nicht verschließen, zumal der Konkurrenzkampf mit den anderen drei Grand-Slam-Veranstaltern hart ist.

Weitere Änderungen scheinen daher nicht ausgeschlossen zu sein. Schließlich sollen die All England Championships das "weltweit führenden Tennisereignis" bleiben.

"Ich glaube, hier werden wir bald auch Nachtspiele sehen", glaubte Agassi nach der Einweihung des neuen Dachs.

Ende für den "Friedhof der Stars"
Die Anlage im Südwesten Londons soll jedenfalls weiter verändert werden. Nach diesem Turnier rücken die Bulldozer wieder an. Dann wird der Court No. 3, der legendäre "Friedhof der Stars", abgerissen.

An seiner Stelle wird ein kleines modernes Stadion entstehen, ähnlich dem, das am Rande der Anlage dieses Jahr eingeweiht wurde.

"Hinterhof des Henkers" ist Geschichte
Angefangen hatte der Wandel in Wimbledon mit dem Abriss des alten Courts No. 1, den Spieler, Medien und Fans ehrfurchtsvoll "Hinterhof des Henkers" nannten.

Dieser Platz, auf dem sich Boris Becker den Arm gebrochen hatte, und den der fünfmalige Champion Roger Federer nur vom Hörensagen kennt, musste einem neuen Spielertrakt und Pressezentrum weichen. Er wurde auf einer Wiese unweit des Center-Courts neu gebaut. Ohne Dach, was damals selbstverständlich war, schon bald aber geändert werden soll.

"Magischer Zauber"
"Wimbledon verändert sich ständig, aber niemand empfindet es als störend", meinte Becker, der auch in diesem Jahr als Kommentator für die BBC arbeitet.

"Dieser Ort hat einen magischen Zauber", weiß auch Wimbledon-Favorit Federer, "alles, was sich hier ändert, ändert sich zum Guten."

Das millionenteure Dach verändert laut Agassi die Bedingungen auf dem Platz, ist aber ein Gewinn für Fans. "Erst die Fans, dann der Sport. In diesem Fall ist das auch besser für den Sport", sagte er.

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