"Dort sparen, wo es notwendig ist"

Peter Seisenbacher im ORF.at-Interview.
Die Hoffnung auf eine WM-Medaille in Rotterdam war ebenso groß wie die Enttäuschung danach. Erstmals seit sechs Jahren blieben Österreichs Judokas bei einem Großereignis ohne Edelmetall.

Von einem Debakel war die Rede. Hans-Paul Kutschera, Präsident des heimischen Verbandes (ÖJV), stellte auch Maßnahmen in Aussicht, die er bei einem Treffen mit den Trainern am Mittwoch in Wien konkretisieren wolle. Außerdem sollen die Weichen für die Heim-EM 2010 und die Olympischen Spiele 2012 in London neu gestellt werden.

ORF.at sprach mit Doppelolympiasieger (1984, 1988) Peter Seisenbacher über die möglichen Konsequenzen und die Zukunft der Judo-Nation Österreich.

ORF.at: Herr Seisenbacher, wie beurteilen Sie den heimischen Judo-Sport auf Basis des WM-Debakels?

Peter Seisenbacher: Wir haben eine Generation von sehr erfolgreichen Judo-Kämpfern, die langsam ausdünnt. Ein Patzer wie bei der WM kann passieren. Paischer (Ludwig, Anm.) und Filzmoser (Sabrina, Anm.) haben die Chance und den Anspruch, bei den nächsten Olympischen Spielen noch vorne dabei zu sein. Aber wir sind uns einig: Das werden garantiert ihre letzten Spiele sein. Und danach sieht es nicht gut aus, das Ende der Erfolgsleiter ist absehbar.

ORF.at: Um den Hinterbau ist es demnach schlecht bestellt?

Seisenbacher: Mögliche Nachfolger sind noch lange nicht so weit, um in ihre Fußstapfen treten zu können. Ich bin also nicht der Meinung, dass man sich diesbezüglich nicht etwas überlegen müsste. Aus der zweiten Reihe bietet sich in Österreich, ohne zu übertreiben, keine Weltklasse an.

ORF.at: Worauf führen Sie das schlechte WM-Abschneiden zurück?

Seisenbacher: Auf eine Verkettung unglücklicher Umstände. Bei "Lupo" Paischer war das eine einmalige Geschichte, er wurde weit unter seinem Wert geschlagen, was sich hoffentlich nicht wiederholen wird. Erschwerend hinzu kommt, und das betrifft die ganze Mannschaft, dass in der Zukunft gravierende Regeländerungen auf uns warten.

ORF.at: Was bedeutet das konkret?

Seisenbacher: Dass sich junge wie alte Athleten an die neuen Regeln schnell anpassen müssen. Da wird es an der Weltspitze grobe Verschiebungen geben. Denn viele sind auf bestimmte Techniken, die nun verbannt werden, angewiesen.

ORF.at: Auch Paischer, Filzmoser und Co?

Seisenbacher: Klar, wenn mir ein Wurf gestrichen wird, der 40 Prozent meines Repertoires ausmacht, mit dem ich minutenlang vorbereite und kämpfe, und dann gerade diesen Wurf nicht anwenden darf, so ist das eine gewaltige Umstellung. Habe ich mit dem Wurf nichts am Hut, habe ich das kleinere Problem, dass ich den Wurf nicht mehr verteidigen muss, dass er im Konzept meiner Verteidigung keine Rolle mehr spielt. Ihn einfach rauszunehmen aus der Verteidigung, wäre die leichtere Aufgabe.

ORF.at: Wie viel Zeit bleibt?

Seisenbacher: Das wird schon bei der beginnenden Olympia-Qualifikation eine entscheidende Rolle spielen. Besonders betroffen sind auch unsere jungen, noch nicht etablierten Athleten. Allerdings haben wir nur einen Trainer, der sich um die alteingesessenen Stars kümmern soll und gleichzeitig eine breite Basis heranziehen muss, um den vielleicht den einen oder anderen Überflieger für die Zukunft herausziehen zu können.

ORF.at: Die Sichtung der Talente dauert: Wie sollte im Idealfall vorgegangen werden?

Seisenbacher: Bei vierzig Gewichtsklassen, Burschen und Mädchen, muss man in jeder Klasse zwei, drei Leute forcieren, damit in zwei, drei Gewichtsklassen der eine oder andere Athlet übrigbleibt. Man muss in einer enormen Breite anfangen, den Leuten auch regelmäßig Chancen geben, auch die Chance darauf, bei Trainingslagern auf gute Gegner zu treffen, um sich neue Motivation zu holen.

ORF.at: Nicht zuletzt sagte auch ÖJV-Präsident Kutschera nach der WM, dass dringender Handlungsbedarf bestehe. Was ist zu erwarten?

Seisenbacher: Schon in Peking hatte er drei Spitzenleute, die für Medaillen gut waren. Eine (Silber für Paischer, Anm.) ist es geworden. Genau genommen heißt das nun, dass wir derzeit eine ernstzunehmende Hoffnung haben. Wenn ein Paischer aber einen schlechten Tag hat, fährt Kutschera ohne Medaille nach Hause. Dabei macht Paischer seinen Job gut. Was fehlt, ist der Nachschub. Das geht nicht von heute auf morgen. Insofern hat der Präsident recht: Es besteht Handlungsbedarf.

ORF.at: Vielleicht wurde in Zeiten des Erfolgs ja darauf vergessen, Vorsorge für die Zukunft zu treffen?

Seisenbacher: Nein, ich will auch nicht von Fehlern sprechen, denn gewisse Dinge sind nicht vorhersehbar, auch nicht die Entwicklung im Nachwuchsbereich. Mag schon sein, dass man sich früher mehr erwartet hat. Noch erkenne ich keine Fehler, aber durchaus Handlungsbedarf, wie eben auch Kutschera.

ORF.at: Kritik wurde bezüglich des Geldes laut. Dass Geld für sinnlose Reisen zu wertlosen Wettkämpfen ausgegeben wurde, das an der Basis, für die Nachwuchsarbeit fehlt.

Seisenbacher: Dieser Kritik muss ich insofern zustimmen, als die Auswahl der letzten Turniere äußerst unglücklich war. Zum Beispiel Rio de Janeiro. Das Teilnehmerfeld war einfach lächerlich. Wer Sportler mit starken Gegnern konfrontieren will, darf das nicht machen. Das hätten wir in der Nähe von Österreich billiger haben können. Da wurde Geld falsch investiert.

ORF.at: Dafür hat Paischer in Rio gewonnen.

Seisenbacher: Ein Paischer kann nichts dafür, dass seine Mitkämpfer von Rio nichts hielten. Er hatte seinen Plan langfristig fixiert und damit gerechnet, dort gute Partner vorzufinden. Ein Sportler darf überrascht sein, die sportliche Führung hingegen müsste ihre Fühler ausstrecken und im Vorfeld prüfen, wer von den guten Nationen hinfährt und ob genügend Teilnehmer am Start sind. Das ist eine Frage des Managements.

ORF.at:Generell: Wie wichtig sind flankierende Maßnahmen des Verbandes, um im Judo erfolgreich zu sein? Sie selbst waren doch ein verbissener Einzelkämpfer.

Seisenbacher: Im Nachwuchsbereich geht ohne gar nichts. Wenn der Verband nicht vernünftige Auswahlkriterien findet, die richtigen Leute sichtet und langsam an die Spitze heranführt, kommen Supertalente nicht durch. Da muss langfristig investiert werden. Einmal etabliert, braucht der Judoka nur noch eine Vertrauensperson, eine kleine Gruppe um sich. Das ist eine andere Art der Arbeit, als eine ganze Gruppe an die Spitze heranzuführen. Ob das ein Nationaltrainer (Udo Quellmalz, Anm.) schaffen kann, muss sich der ÖJV überlegen.

ORF.at: Das Problem ist demnach nicht der Trainer an sich?

Seisenbacher: Nein, denn das allein zu schaffen, ist äußerst schwierig, weil die Mannschaft so verschieden ist. Es gibt die älteren Topleute, die jungen und dazwischen gar nichts. Das muss überdacht und darauf gezielt reagiert werden.

ORF.at: Mehrere Trainer kosten mehr Geld, das es möglicherweise nicht gibt?

Seisenbacher: Ich glaube nicht, dass Geld ein Problem wäre, denn finanziell steht der Verband besser da denn je. Gespart werden müsste dort, wo notwendig. Ich kenne zufällig die Budgets anderer Topnationen. Sie haben weniger Geld zur Verfügung und können ihre Probleme trotzdem lösen.

Das Gespräch führte Michael Fruhmann, ORF.at

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