Träume und Visionen ebnen den Weg

"Mein großer Traum wäre, wieder gehen zu können. Ich glaube daran."
Olympische Medaillen und Weltrekorde haben Thomas Geierspichler den Weg zu Anerkennung im österreichischen Sport geebnet. Dass er seine Erfolge im Rennrollstuhl einfuhr, ist Nebensache, die Hauptsache: sein Glaube an sich selbst und die Kraft, die er aus seinem Glauben schöpft.

Den dramatischen Wendepunkt in Geierspichlers Leben markierte ein Autounfall vor 15 Jahren. Seither ist er querschnittgelähmt. Wie Geierspichler sein Schicksal meisterte, sein Leben mit Behinderung im Rampenlicht meistert und seinen größten Wunsch verfolgt, beschreibt der 33-jährige Salzburger im ORF.at-Interview.

ORF.at: Herr Geierspichler, für einen Rollstuhlsportler haben Sie in Österreich ungeahnte Popularität erlangt. Wie war das möglich?

Thomas Geierspichler: (lacht) Nun, Gold mit Weltrekordzeit bei den Paralympics zu holen hat extrem eingeschlagen. Das Interesse war enorm. Unmittelbar nach Peking hagelte es PR-Anfragen, sogar als Testimonial für Orange wurde ich engagiert. Dieser Spot hat mir viel Popularität gebracht. Wohl auch meine unbefangene Art, offen über meine Behinderung zu sprechen.

ORF.at: Ist das Leben im Rampenlicht für Sie schwieriger geworden?

Geierspichler: Ich habe gelernt, damit umzugehen. Das ist natürlich ein Lernprozess. Mir ist aber bewusst und wichtig, den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren. Ich nütze das Interesse als Plattform, um jene Werte zu vermitteln, die im Leben meiner Meinung nach wirklich wichtig sind: seinen eigenen, für sich bestimmten Weg zu gehen und dabei authentisch zu bleiben.

ORF.at: Was macht die Person Thomas Geierspichler aus?

Geierspichler: Wichtig ist es, die Balance zu finden zwischen Zielstrebigkeit, Selbsthärte und dem Bestreben, seine Vision nie aus den Augen zu verlieren. Wichtig ist auch, in den richtigen Momenten loslassen zu können. Es geht nicht immer nur Vollgas.

ORF.at: Fühlen Sie sich von der Öffentlichkeit als Sportler ernst genommen?

Geierspichler: Mittlerweile glaube ich sehr wohl, dass es so ist. Spätestens sobald ich den Menschen erzähle, wie viel ich für meinen Erfolg arbeite. Ich trainiere nach demselben Muster wie nicht behinderte Kollegen - vier bis sechs Stunden täglich.

ORF.at: Manch gesunder Mensch beneidet Sie um Ihre mentale Kraft. Ihr Tipp?

Geierspichler: Sie sollen ins Reine mit sich selbst kommen und ihren eigenen Weg finden. Wenn sie auf dem Fundament der Wahrhaftigkeit stehen, wird von Träumen und Visionen automatisch ein Weg vorgezeichnet. Wer nicht in seiner Bestimmung lebt, kann keine Lebensenergie haben, diese Menschen brennen irgendwann aus. Man sollte ehrlich zu sich selbst sein.

ORF.at: Woraus schöpfen Sie Ihre Kraft und Motivation?

Geierspichler: Eigentlich aus dem Glauben. Das hat aber nichts mit regelmäßigen Kirchengängen zu tun. Ich bin auch kein Heiliger, aber ich lese in der Bibel. Darin stehen so viele geistige Grundgesetze, die ich einfach Schritt für Schritt für mich selbst umgesetzt habe. Das funktioniert.

ORF.at: Was würden Sie als den schönsten Moment Ihrer sportlichen Laufbahn bezeichnen?

Geierspichler: Genau genommen gab es drei Momente: In Sydney holte ich mit Bronze meine erste Medaille. Was da passiert ist, war unfassbar. Und auf dem Podest hatte ich eine neue Vision. Ich wollte, dass die Bundeshymne einmal für mich gespielt wird. In Athen war es so weit. Da sind mir echt die Tränen gekommen. Ein riesiger Stein fiel von meinem Herzen.

Vor Peking musste ich lernen, etwas zu erreichen, das man schon einmal geschafft hat. Ein ganz anderer Gesichtspunkt, eine andere Situation. Der Weltrekord war natürlich der Überhammer. Da habe ich mich nur noch von Gott beschenkt gefühlt.

ORF.at: Ist Doping in Ihrem Sport ein Thema?

Geierspichler: Beim Rennrollstuhlfahren weiß ich es nicht. Es gibt aber schon immer wieder Meldungen über positive Fälle. In meiner Kategorie jedoch kenne ich aus dem Verlauf meiner aktiven Karriere niemanden, der jemals gedopt war.

ORF.at: Welche Einstellung haben Sie dazu?

Geierspichler: Für mich ist das glasklar: Würde ich mit Doping beginnen, müsste ich mit dem Sport aufhören. Dann wüsste ich, dass der Zeitpunkt für meinen Rücktritt gekommen ist. Doping ist Betrug. Ich könnte mich nicht mehr in den Spiegel schauen.

ORF.at: Behindertensportler - stört Sie dieser Begriff?

Geierspichler: Nein, überhaupt nicht. Man muss es doch irgendwie nennen. Es hat zwar einmal Versehrtensport geheißen, Faktum ist aber: Wir sind behindert. Eine Diskussion darüber wäre der falsche Ansatz. Diese Energie sollte besser dafür verwendet werden, unsere Integration voranzutreiben. Wie wir genannt werden, ist mir herzlich egal bzw. nur ein i-Tüpfelchen.

ORF.at: Ihr Lebensmotto lautet "Dem Glaubenden ist alles möglich". Woran glauben Sie?

Geierspichler: Dass jeder Mensch einen eigenen, für sich bestimmten Weg hat. Ich lese, wie gesagt, die Bibel und schöpfe aus ihr meine Kraft. Die Bibel zeigt mir, welchen Weg und wohin ich zu gehen habe.

ORF.at: Wohin hätte Ihr Weg ohne den fatalen Autounfall geführt?

Geierspichler: Eine sehr hypothetische Frage. Keine Ahnung. Wahrscheinlich hätte ich den elterlichen Bauernhof übernommen, wo ich mit meiner Mutter inzwischen vier Appartements eingerichtet habe und als Ferienwohnungen vermiete.

ORF.at: Was unterscheidet Sie als Menschen von damals?

Geierspichler: Früher hat mir immer mein Vater gesagt, was ich tun soll. Erst später merkte ich, dass ich es bin, der bestimmen muss, welche Richtung einzuschlagen ist, dass ich selbst es bin, der für mein Leben verantwortlich ist. Das hat mit meinem Unfall begonnen. Damals begann ich, geistig auszubrechen.

ORF.at: Welche weiteren Ziele verfolgen Sie als Sportler?

Geierspichler: Mein Betätigungsfeld hat sich inzwischen dreigeteilt: einerseits Sport, der nach wie vor die größte Rolle spielt. Hier arbeite ich auf London (Olympia 2012, Anm.) hin. Weitere Standbeine sind Motivationsvorträge und mein soziales Engagement (Hilfsverein Walk 'n' Roll, Anm.). Wir unterstützen Menschen mit Behinderung dabei, ihre Visionen zu erreichen. Und, fast hätte ich's vergessen: Meine Ferienwohnungen vermiete ich auch noch.

ORF.at: Haben Sie einen Lebenswunsch?

Geierspichler: Ich bin glücklich, vielleicht sogar einer der glücklichsten Menschen. Natürlich: Mein großer Traum wäre, wieder gehen zu können. Ich glaube daran. Es ist möglich. Und allein dieser Glaube gibt mir ausreichend Kraft, um glücklich leben zu können. Ob es dann wirklich passiert, ist gar nicht so wichtig.

Das Gespräch führte Michael Fruhmann, ORF.at

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