Ein Buch ohne Tabus

Gegenüber ehemaligen Kollegen nimmt sich Agassi kein Blatt vor den Mund.
Seit Montag ist "Open", das autobiografische Buch von Andre Agassi, in den USA im Handel erhältlich.

©Bild: APA/EPA/Philippe Perusseau
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Der ehemalige "Paradiesvogel" und nunmehrige Ehemann von Steffi Graf, fürsorgliche Familienvater und Förderer von benachteiligten Kindern hat es rund um die Veröffentlichung verstanden, kräftig die Werbetrommel für sein Buch zu rühren.

Nachdem der frühere US-Tennisprofi in Vorveröffentlichungen seinen Drogenmissbrauch in den späten 1990er Jahren mit Crystal Meth (Methamphetamin) bzw. die Lügen dazu gegenüber der ATP zugegeben hatte, legt er nun nach.

Versuch der Wiedergutmachung
Wie Agassi in einem Interview mit Associated Press (AP) sagte, sei das Buch ein Teil der Wiedergutmachung für Dinge, die er einst gesagt oder getan hat. "Ich kann damit nicht mehr leben", so der 39-Jährige.

"Diese Lügen ... einige sind sicher aus Angst entstanden, andere aus Irritation. Bei vielen habe ich einfach nur laut gedacht. Und vieles hatte auch mit Lügen mir selbst gegenüber zu tun."

Genau unter die Lupe genommen
Nun will Agassi zur Einsicht gekommen sein. "Nachdem ich vom Tennis zurückgetreten bin, hatte ich die Möglichkeit, die Zeit sowie die Energie, mich wirklich genau unter die Lupe zu nehmen."

Das Ergebnis ist das Buch, das gemeinsam mit
Pulitzer-Preisträger J. R. Moehringer aus stundenlangen Tonbandaufzeichnungen entstanden ist. Es sei die "Sühne für das, was ich in meinem Leben getan habe".

Dazu gehörten etwa absichtlich verlorene Spiele und der von seinem Vater früh geförderte Drogenkonsum. Agassi senior habe ihm vor Turnieren das koffeinhaltige Aufputschmittel Exedrin und sogar synthetische Drogen gegeben. Aber auch Marihuana und Alkohol seien später im Spiel gewesen.

Hass auf Tennis
Er habe Tennis gehasst, so Agassi nun in einem "Spiegel"-Interview. "Ich habe schon einigen Menschen gesagt, dass ich Tennis hasste, wirklich hasste."

Seinen Vater, der als armenischer Iraner in die USA eingewandert war, konnte er später immerhin verstehen. "Es war ganz einfach: Er ist auf der Straße aufgewachsen, hatte nie eine Wahl gehabt, er wollte uns Kindern die Freiheit schenken, indem er uns den amerikanischen Traum schenkte." Sein Vater sei ein "sehr" gewalttätiger Mann gewesen. "Und cholerisch. Er hatte einen Axtstiel im Auto, manchmal eine Pistole", so der ehemalige Tennisstar.

Sampras als langweiliger Roboter
Agassi äußert sich in "Open" aber auch kritisch gegenüber ehemaligen Konkurrenten wie Pete Sampras, Michael Chang, Boris Becker und auch Thomas Muster.

Für Agassi ist etwa sein US-Landsmann Sampras wie ein Roboter aufgetreten. "Ich beneide ihn um seine Langweiligkeit. Ich wünschte, ich könnte sein eindrucksvolles Fehlen von Inspiration nachahmen."

Er erwähnt in diesem Zusammenhang eine Wette, die er mit seinem Trainer Brad Gilbert über die Höhe des Trinkgelds von Sampras für einen Parkplatzwächter laufen hatte. Nach der Auskunft des Wächters, er habe einen Dollar erhalten, lautet die Schlussfolgerung Agassis: "Pete und ich hätten nicht unterschiedlicher sein können."

Zweifel an Changs Gläubigkeit
Chang wiederum habe sich ganz auf Gott bezogen. "Er hat Gott gedankt und ihn für den Sieg verantwortlich gemacht. Das ärgert mich. Dass Gott bei einem Tennismatch jemanden bevorzugen oder gegen mich sein sollte, dass Gott in Changs Box sitzen sollte, das hört sich albern und beleidigend an. Wenn ich Chang geschlagen habe, habe ich jeden blasphemischen Schlag ausgekostet."

Über Changs Sieg bei den French Open 1989 weiß Agassi auch nichts Gutes zu berichten: "Ich habe mich ganz schlecht gefühlt. Wie konnte ausgerechnet er vor mir ein Grand-Slam-Turnier gewinnen?"

Aber auch Becker (der laut Agassi seiner damaligen Frau Brooke Shields während eines Spiels Küsse zugeworfen haben soll), Jim Courier, Thomas Muster, Jewgenij Kafelnikow und Jeff Tarango (er soll bei einem Match gegen den achtjährigen Agassi geschummelt haben) bekommen ihr Fett ab.

Kritik lässt nicht auf sich warten
Da scheint es nicht zu verwundern, dass es von Tennisgrößen wie Martina Navratilova und Roger Federer schon nach den ersten Auszügen aus seinem Buch harte Worte gegeben hatte.

"Es war ein Schock für mich, als ich davon erfahren habe", sagte etwa Federer. "Ich bin enttäuscht und hoffe, dass es solche Fälle in Zukunft nicht mehr geben wird. Unser Sport muss sauber bleiben."

Agassi versteht nach eigenen Worten die Kritik an seinen Aussagen. "Man muss daran denken: Ich war selbst viele Jahre lang wütend und von mir selbst enttäuscht. Wie kann man Leuten sagen, dass sie sich nicht vor der Wahrheit verstecken sollen, wenn man es selbst tut? Aber in dem Buch ist mein wahres Ich enthalten. Ich bereue es nicht, darüber geschrieben zu haben."

Absichtlich verloren
Er habe auch absichtlich verloren, so Agassi, etwa einmal im Halbfinale der Australian Open gegen Chang, um nicht im Finale gegen Becker antreten zu müssen.

"Das ist fast schwieriger, als zu gewinnen. Man muss so verlieren, dass es das Publikum nicht merkt." Die Sportjournalisten hätten ebenfalls nur wenig Ahnung: "Wenn ich absichtlich verliere, sagen sie, ich sei nicht gut genug. Wenn ich nicht gut genug bin, sagen sie, dass ich absichtlich verliere."

Nicht einmal die Haare waren echt
©Bild: GEPA/Ingrid Gerencser
©Bild: GEPA/Ingrid Gerencser
Agassi hatte auf dem Platz aber auch andere Sorgen, die allerdings mehr seine Stellung als Teenie-Idol betrafen. So habe er beim Finale der French Open im Jahr 1990 beim "Aufwärmen vor dem Match gebetet, nicht für einen Sieg, sondern dass mein falscher Haarteil hält".

Nun bleibt zu hoffen, dass sich Agassi nach Veröffentlichung von "Open" und dem darin enthaltenen Rundumschlag nicht auch noch Sorgen um seine Reputation machen muss.

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