Geschichte überholt Gegenwart

1938 strömten 88.000 Zuschauer ins Los Angeles Coliseum.
Als das Skispringen in den USA noch in den Kinderschuhen steckte, ließen sich findige Köpfe die simpelste, wenn auch spektakulärste Art einfallen, den Fans die noch junge Sportart schmackhaft zu machen.

Statt die Zuschauer zu den teils entlegenen Sprunganlagen zu locken, brachte man die Schanzen einfach zu den Fans. Resultat waren gewaltige Stahlkonstruktionen in Football-Stadien, auf denen sich mutige Athleten in die Tiefe stürzten.

Nicht von ungefähr beschrieb ein Lokalblatt eine Veranstaltung in Chicago 1954 als das "gefährlichsten Sportevent, das jemals im Soldier-Field-Stadion ausgetragen wurde".

Spektakel im Soldier Field
Federführend bei der Verwirklichung der außergewöhnlichen Idee war der Norge Ski Club aus Chicago, der - 1905 gegründet - zu den ältesten Skiclubs weltweit zählt.

1937 und 1954 wurde kurzerhand das 90.000 Zuschauer fassende Soldier Field, heute NFL-Heimstätte der Chicago Bears, angemietet und über der Haupttribüne von der Gerüstfirma Gilco eine Schanze aus Holz errichtet.

©Bild: Gilco Scaffolding Co
©Bild: Gilco Scaffolding Co

50 Meter hohe Rampe
Dabei stand aber nicht unbedingt die Weite, sondern vielmehr das Spektakel im Mittelpunkt. Neben dem eigentlichen Sprungbewerb wurden den begeisterten Fans auch Trick-Ski-Vorführungen geboten, bei denen zwei Springer gleichzeitig über die 50 Meter hohe Rampe rasten.

Um den Athleten möglichst authentische Bedingungen zu bieten, wurde die Spur mit zerkleinertem Eis als Schneeersatz präpariert, das mit Lkws aus den umliegenden Bergen herangeschafft worden war.

©Bild: Gilco Scaffolding Co
©Bild: Gilco Scaffolding Co

Sprungschanzen im "Golden State"
Bereits 1935 hatte allerdings ausgerechnet das sonnenverwöhnte Kalifornien dem Norge Ski Club die Show gestohlen. Bereits zwei Jahre vor der Premiere in Chicago ließ der in Los Angeles ansässige Viking Ski Club in der "Hollywood Bowl" eine Schanze errichten.

Vom überwältigen Erfolg überzeugt wiederholten die Veranstalter den Event 1938 und lockten damit 88.000 Zuschauer ins Los Angeles Coliseum. Dazu wurden 500 Tonnen Eis auf die Schanze gesprüht, dessen Anlaufturm 18 Meter in den Himmel ragte.

Unter den Teilnehmern befanden sich auch zahlreiche namhafte Sportgrößen, unter anderen der zweifache norwegische Olympiasieger Birger Ruud.

Der Koloss von Vancouver
In Vancouver erlag man wiederum 1958 der Versuchung, mit einer Riesenschanze die Zuschauer ins Empire Stadium zu locken. Dabei wurden über 22 Kilometer Stahlrohre verbaut, um eine 50 Meter hohe und laut damaligen Medienberichten "größte handmontierte temporäre Schan­ze der Welt" zu errichten.

Der Koloss, der eine zwölf Meter breite und 27 Meter hohe Aufsprungbahn hatte, zog neben lokalen Größen auch die beiden finnischen Springer Juhani Kärkinen und Ensio Hyytiä, ihres Zeichens Welt­meis­ter und Vize­welt­meis­ter des Jahres 1958, an. Erwartungsgemäß sorgte dann auch Kärkinen mit 47,9 Meter für die größte Weite des Tages.

©Bild: The Jewish Museum and Archives of British Columbia/Otto F. Landauer
©Bild: The Jewish Museum and Archives of British Columbia/Otto F. Landauer

Verlustgeschäft dank Kiebitzen
Laut einem Bericht auf Skisprungschanzen.com wurde der Event zwar von täglich 25.000 Besuchern im Stadion mitverfolgt, entwickelte sich aber trotzdem zum Verlustgeschäft.

Täglich saßen nämlich über 20.000 nicht zahlende Zuschauer außerhalb des Stadions und verfolgten das Spektakel mit Ferngläsern ausgestattet vom höher liegenden Gelände rund um das Stadion.

Weitenjagd im Wembley-Stadion
Aber auch in Europa konnte man sich der Faszination nicht erwehren. 1961 wurde etwa im Wembley-Stadion in London eine mächtige Holzsprungschanze errichtet. Gesamtsieger wurde dabei der spätere Olympiasieger von 1964, Veikko Kankkonen aus Finnland, der 34,5 Meter weit flog.

Mit dem Weltrekord darf sich aber weiter Kalifornien schmücken. Dort wurde 1951 in Pomona die bisher größte temporär errichtete Schanze errichtet. Die kühne Konstruktion, die die Athleten dabei besteigen mussten, war nicht weniger als 70 Meter hoch.

Wolfgang Rieder, ORF.at

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