Nur ein paar Hundert Zuschauer waren dabei, als der Sprinter und Weitspringer jene Show abzog, die als "Tag der Tage" in die Annalen der Leichtathletik eingehen und ihn "unsterblich" machen sollte.
Medien bleiben distanziert
Das Publikum war begeistert, doch die Medien blieben damals distanziert, kein Reporter sprach nach dem Coup mit dem Mann des Tages. In den Zeitungen wurden die sechs Weltrekorde des "Ohio State Negro" bestenfalls registriert.
Auch 75 Jahre später erinnert nur eine schlichte Gedenktafel an einer Backsteinmauer im Ferry Field an die erste Sternstunde des Ausnahmeathleten. Der Ruhm stellte sich erst 1936 ein, als Owens bei den Olympischen Spielen in Berlin vier Goldmedaillen (100 m, Weitsprung, 200 m, und 4 x 100 m) gewann.
Trotz Rückenverletzung am Start
Seine Leistung beim Big Ten Championship in Ann Arbor war umso erstaunlicher, als dass der Student der Ohio State University von Columbus mit einer Rückenverletzung an den Start gehen musste. Fünf Tage zuvor war er bei einer Balgerei mit seinen Kommilitonen die Stiege hinuntergestürzt.
"So dumm, so dumm", ärgerte sich Owens damals, schreibt Jeremy Schaap in dem Buch "Triumph: The Untold Story of Jesse Owens and Hitler's Olympics". "Jesse, sieh mal. Das ist es nicht wert. Wenn du nicht gehen kannst, dann kannst du nicht gehen", wollte Owens damaliger Trainer Larry Snyder seinen Schützling noch davon überzeugen, nicht anzutreten.
"Lass' es mich versuchen"
"Ich bin okay", sagte Owens darauf und versuchte, ein Lächeln hervorzubringen. Doch wegen der starken Schmerzen im Lendenwirbelbereich gelang es ihm nicht. "Es fühlt sich schon besser an", log er seinen Coach an. "Lass es mich versuchen."
Da Owens wegen der Verletzung nicht einmal sein Shirt über den Kopf ziehen konnte, bat er David Albritton: "Dave, hilf mir das anzuziehen." Albritton, ein Highschool-Freund, tat es kopfschüttelnd. Bereits am Vortag hatte er Owens in die Wanne helfen müssen, damit dieser ein 90 Minuten langes heißes Entspannungsbad nehmen konnte.
"Schmerzen? Welche Schmerzen?"
Als sich Owens auf den ersten Bewerb, die 100 Yards (91,44 m), vorbereitete, sagte er zu sich selbst: "Schmerzen? Welche Schmerzen?" Mit der Anspannung stieg der Adrenalinspiegel und die Schmerzen ließen nach. Um 15.15 Uhr fiel dann der Startschuss. Der schnellste Sprinter der Welt war allerdings nie ein guter Starter: "Fast jeder Konkurrent ließ ihn auf den ersten Yards hinter sich", sagte ein Zuschauer.
Doch nach 30 Yards "explodierte Owens" und stellte in 9,4 Sekunden den Weltrekord, den er sich bereits zuvor mit dem zweifachen Olympiasieger Frank Wykoff geteilt hatte, ein. "Jesse, das war phänomenal. Ich weiß nicht, wie du das gemacht hast", freute sich sein Trainer Snyder.
Owens war sogar enttäuscht
"Ich hätte noch schneller laufen können", antwortete Owens. "Ich will ja nicht prahlen, aber ich hatte einen sehr schlechten Start. Offen gesagt, bin ich sogar ein wenig enttäuscht."
Owens, der vom Zeitplan nicht gerade begünstigt wurde, musste nur zehn Minuten später zum Weitsprung antreten. Um seine Kräfte zu schonen, riskierte er nur einen Sprung - doch dieser hatte es mit 26 Fuß, 8 1/4 Zoll (8,13 m) in sich.
25 Jahre lang sprang keiner weiter
"Wir haben einen neuen Weltrekord", brüllte Stadionsprecher Ted Canty in sein Megafon, nachdem Owens die alte Bestmarke des Japaners Chuhei Nambu (7,98 m) ausgelöscht hatte.
Der Weltrekord überstand die nächsten 25 Jahre, erst am 12. August 1960 sprang der US-Amerikaner Ralph Boston beim Olympiatest in Walnut um acht Zentimeter weiter.
Weitere Rekorde im "Doppelpack"
Nach dem Weitsprung ließen die Fans den Modellathleten nicht mehr aus den Augen - und bekamen sogar Weltrekorde im "Doppelpack" serviert. Um 15.45 Uhr lief Owens über 220 Yards (201,17 m) die neue Weltbestzeit von 20,3 Sekunden und unterbot die von zwei Sprintern (Roland Locke/1924 und Ralph Metcalfe/1933)gehaltene Bestmarke um 0,3 Sekunden.
Der Weltrekord über diese Strecke hatte auch für ihr metrisches Äquivalent, den 200 m, Gültigkeit und wurde erst 14 Jahre später geknackt.
Um 16.00 Uhr folgten dann die Weltrekorde Nummer fünf und sechs. Owens war auch über die 220 Yards Hürden, die wie ihr metrisches Gegenstück 200 m Hürden längst aus dem internationalen Programm verschwunden sind, nicht zu stoppen. In 22,6 blieb er als erster Sprinter unter 23 Sekunden.
"Es war wie ein Akkordeon"
Dabei konnte Owens nie besonders viel mit diesem Bewerb anfangen und trat auch später eher selten bei Hürdenläufen an. Er bremste vor jedem Hindernis ab, ehe er darüber sprang. Bei freier Bahn rannte er seinen Konkurrenten davon, vor den Hürden holten diese wieder ein wenig auf. "Es war wie ein Akkordeon", sagte der Drittplatzierte Francis Cretzmeyer.
Charles Riley, der Lehrer, der Owens Talent an der Fairview Junior Highschool entdeckt und gefördert hatte, schüttelte nachdenklich den Kopf - bewundernd, welch historischen Moment er miterleben durfte. Die meisten anderen Zuschauer waren weniger gedankenvoll: Sie stürmten das Feld und feierten ihren "Helden des Tages".
"Ich bin über mich hinausgewachsen"
"Ich bin an diesem Samstag in Michigan über mich hinausgewachsen", erinnerte sich Owens Jahre danach. "Es hatte nicht nur damit zu tun, physische Schmerzen zu bewältigen. Ich musste auch eine psychische Hürde überwinden."
"Es war einer dieser seltenen Momente im Sport, in denen man nicht glauben kann, was man soeben miterlebt hat", sagte Bill Reed, Augenzeuge und späteres Kommissionsmitglied bei den "Big Ten". Die "Los Angeles Times" schrieb später einmal: "Niemand zuvor oder danach hatte jemals einen Tag wie diesen - und das wird wahrscheinlich auch für immer so bleiben."
"Durch Berlin wurde Jesse Owens bekannt, aber Ann Arbor hat ihn unsterblich gemacht", war 1996 in "Ebony", einer monatlich für den afroamerikanischen Markt in den USA erscheinende Zeitschrift, zu lesen.
Peter Falkner, ORF.at
Buchhinweis
Jeremy Schaap: "Triumph: The Untold Story of Jesse Owens and Hitler's Olympics". Houghton Mifflin, 288 Seiten.
Links:
- Jesse Owens (Offizielle Website)
- "Triumph: The Untold Story of Jesse Owens and Hitler's Olympics" (Houghton Mifflin)
- Los Angeles Times
- Ebony