Vom Olympiasieger zum Schauläufer

Jesse Owens: "Ich bin ein glücklicher Mensch, ich hatte meinen Tag an der Sonne."
James Cleveland Owens wurde am 12. September 1913 als siebentes von elf Kindern eines Farmers in Oakville (US-Bundesstaat Alabama) geboren. J. C., wie er genannt wurde, war neun Jahre alt, als seine Familie nach Cleveland (Ohio) umzog.

Dort bekam er jenen Namen, unter dem er später weltweit bekanntwurde. Als seine neue Lehrerin fragte, wie er heiße, antwortete er: "J. C." Die Lehrerin verhörte sich allerdings und trug "Jesse" ins Klassenbuch ein - der Name blieb hängen.

An der Fairview Junior Highschool von Cleveland fiel dem Lehrer Charles Riley das leichtathletische Talent von Owens auf. "Ich bemerkte, dass er mich etwa ein Jahr lang beobachtete - vor allem, wenn wir etwas spielten, bei dem wir laufen oder springen mussten", sagte Owens später einmal über seinen Förderer und ersten Trainer.

Weltrekord im letzten Highschool-Jahr
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1928 stellte Owens Junior-High-Rekorde im Hochsprung und Weitsprung auf, während seiner Zeit an der East Technical Highschool in Cleveland erlangte er bereits landesweite Beachtung. In seinem letzten Schuljahr, 1933, stellte er in 9,4 Sekunden den Weltrekord über 100 Yards (91,44 m) ein und lief in 20,7 Sekunden einen neuen Highschool-Rekord über 220 Yards (201,17 m).

Zahlreiche Universitäten buhlten um den aufgehenden Stern am Leichtathletik-Himmel. Owens entschied sich schließlich für die Ohio State University (OSU) von Columbus. Da die OSU zu dieser Zeit kein Stipendium anbieten konnte, nahm er zahlreiche Nebenjobs an. Owens arbeite u. a. als Liftboy an der Uni und als Page im Bundesstaatsparlament.

Sechs Weltrekorde in 45 Minuten
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Als 21-Jähriger erlebte der Afroamerikaner seine erste Sternstunde. Owens stellte am 25. Mai 1935 bei den Studenten-Meisterschaften in Ann Arbor (Michigan) innerhalb von 45 Minuten sechs Weltrekorde (100 Yards, Weitsprung, 220 Yards, 200 m, 220 Yards Hürden und 200 m Hürden) auf.

Dieser Samstag sollte als der "größte Tag in der Geschichte der Leichtathletik" in die Annalen eingehen. Die Medien blieben damals allerdings distanziert. In den Zeitungen wurden die sechs Weltrekorde des "Ohio State Negro" nur zur Randnotiz.

In Berlin zu weltweitem Ruhm
Der weltweite Ruhm stellte sich erst ein Jahr später bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin ein, wo Owens vier Goldmedaillen holte. Das gelang als zweitem Leichtathleten danach nur noch Carl Lewis 1984 in Los Angeles.

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Der 22-Jährige gewann vor den Augen Adolf Hitlers die 100 m fast mühelos in 10,2 Sekunden, den Weitsprung mit 8,06 m und lief über 200 m in 20,4 Sekunden neuen olympischen Rekord. Als Krönung schaffte er mit der US-Staffel in 39,8 Sekunden neuen Weltrekord über 4 x 100 m.

Freundschaft mit einem Deutschen
Im Weitsprung hatte Owens nach zwei Fehlversuchen bereits ein Scheitern in der Qualifikation gedroht. Doch der Deutsche Luz Long, der zu dem Zeitpunkt einen neuen Olympiarekord aufgestellt hatte, gab ihm einen Hinweis, worauf Owens sich qualifizierte und letztlich Gold gewann, während Long Silber errang.

"Es kostete ihn viel Mut, sich vor den Augen Hitlers mit mir anzufreunden", wurde Owens auf ESPN zitiert. "Man kann alle Medaillen und Pokale, die ich habe, einschmelzen. Und sie würden nicht für eine Schicht über der 24-Karat-Freundschaft, die ich in diesem Moment für Luz Long empfand, reichen. Hitler muss wahnsinnig geworden sein, als er uns beim Umarmen sah."

Dass er Long danach nie mehr wieder gesehen hat, war das "Traurige an der Geschichte. Er wurde während des Zweiten Weltkriegs getötet." Owens blieb allerdings mit Longs Familie in Verbindung.

Der tiefe Fall eines Helden
Trotz des in Berlin errungenen Ruhms folgte der tiefe Fall des Ausnahmeathleten. "Als ich mit vier Goldmedaillen nach Hause kam, klopfte mir jeder auf die Schulter, wollte mir die Hand schütteln oder lud mich in seine Wohnung ein. Aber keiner bot mir einen Job an", sagte Owens später einmal.

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"Jesse war bitterarm, und so habe ich ihm geraten, das Studium aufzugeben und dem schnellen Geld nachzujagen", wurde sein damaliger Trainer Larry Snyder von der "Neuen Zürcher Zeitung" ("NZZ") zitiert.

Wie man ein Pferd besiegt
Owens verdiente sich seinen Lebensunterhalt neben anderen Jobs mit Schaubewerben gegen Rennpferde, beklagte sich allerdings, dass der Wettkampf nicht fair sei: "Kein Mann könnte ein Rennpferd besiegen, nicht einmal auf 100 Yards."

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Mit einem Trick gelang es ihm aber trotzdem. Owens trat meist gegen sehr nervöse Vollblüter an. Diese erschraken beim Startschuss so sehr, dass sie erst nach einer Verzögerung losrannten. Ein kleiner Vorteil, der für Owens oft zum Sieg reichte.

Er reiste auch durchs Land und trat gegen regionale Sprinter in 100-Yards-Rennen an, wobei er den Gegnern einen Vorsprung gab und trotzdem gewann. Sogar mit einer afroamerikanischen Band ging er auf Tour durch die Staaten.

Verurteilung wegen Steuerhinterziehung
Danach arbeitete Owens als Tankstellenwärter und stieg ins Trockreinigungsgeschäft ein. Den Tiefpunkt erreichte er, als sein Geschäft bankrottging und Owens 1966 auch noch wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde.

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Rehabilitieren konnte er sich als US-amerikanischer "Botschafter des guten Willens". Owens hielt weltweit Vorträge und Reden bei Firmen und Organisationen. Meistens musste er dabei über die Olympischen Spiele 1936 reden.

James Cleveland Owens starb am 31. März 1980 im Alter von 66 Jahren in Tucson (Arizona) an Lungenkrebs. Sein Grab befindet sich am Oak-Woods-Friedhof in Chicago.

"Ich hatte meinen Tag an der Sonne"
"Ich bin ein glücklicher Mensch, ich hatte meinen Tag an der Sonne", versicherte Owens im Laufe seines bewegten Lebens immer wieder. Dabei könnte es sich durchaus um den 25. Mai 1935 in Ann Arbor handeln, der ersten Sternstunde des Ausnahmeathleten.

Peter Falkner, ORF.at

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