"Erfolge sind mein Mentaltraining"

Österreichs Biathlon-Asse überließen in der Vorbereitung nichts dem Zufall - so wurden Strecke und Schießstand von Whistler exakt simuliert.
Christoph Sumann hat mit den Olympischen Spielen eine Rechnung offen. "In Salt Lake City war ich zu jung, und Turin habe ich aus dem Gedächtnis gestrichen", sagte der Steirer in Anspielung auf die Dopingrazzien 2006, nach denen er noch zwei Top-Ten-Plätze erreichte.

Der 34-jährige Routinier, der heuer in Pokljuka seinen fünften Weltcup-Sieg feierte, wittert die Chance, mit seinen Teamkollegen Dominik Landertinger (21), Daniel Mesotisch (33) und Simon Eder (26) österreichische Sportgeschichte zu schreiben. Sprintbronze durch Wolfgang Perner war 2002 die bisher einzige Olympiamedaille eines ÖSV-Biathleten.

Am Sonntag (20.15 Uhr MEZ, live in ORF1 und im Livestream) bietet sich Sumann im 10-km-Sprintbewerb die erste Gelegenheit zu seinem ersten olympischen Edelmetall. WM-Silber hatte er im Vorjahr zweimal (Massenstart und Staffel) geholt. Im Interview mit ORF.at macht "Sumi" aus seinen großen Ambitionen kein Geheimnis.

ORF.at: Wie sind Ihre Erwartungen bei diesen Winterspielen im Vergleich zu 2002 und 2006 - kein Vergleich, oder?

Sumann: Absolut, hier starten wir unter ganz anderen Voraussetzungen. Das Biathlon-Märchen der letzten eineinhalb Jahre soll hier seine Fortsetzung finden. Wir können beim Schießen und auf der Loipe voll mithalten und gehören sicher zu den Mitfavoriten.

ORF.at: Zehn österreichische Podestplätze in dieser Weltcup-Ssaison sprechen für sich ...

Sumann: Aber das heißt leider gar nichts, Medaillen wollen hier alle holen. Am Tag X gehört auch eine Riesenportion Glück dazu - egal was vorher war oder wie gut die Saison verlaufen ist. Bei Olympia zum richtigen Zeitpunkt da zu sein, das schaffen nur ganz wenige.

ORF.at: Wie kommen Sie mit der Strecke in Whistler zurecht?

Sumann: Wir haben sie in der Vorbereitung in Windischgarsten simuliert. Dort ist der Zulauf zum Schießplatz ähnlich. Das Spurgerät hat uns noch Anstieg, Höhen und Länge nachgebaut. Zusätzlich haben wir im Vorjahr den Schießplatz in Whistler vermessen, der heuer identisch ist. Die gleichen Scheibenhöhen sind für uns sehr wichtig, auch das haben wir exakt simuliert. Praktisch haben wir die letzten zwei Wochen also auf der Olympiastrecke trainiert.

ORF.at: Blieb also nur die Zeitumstellung?

Sumann: Und die war für mich diesmal null Problem, ich bin gekommen und war frisch. Von der ersten Nacht an habe ich durchgeschlafen, spüre keine Müdigkeit. Wetter und die Bedingungen waren zwar so, dass man am besten liegen bleibt. Aber das ist für alle gleich. Wenn das Wetter so bleibt, wird es ein sehr schwieriger Wettkampf.

ORF.at: Also ein Fall für erfahrene Athleten?

Sumann: Ich hoffe, dass ich meine Erfahrung ausspielen kann. Ich habe mich hier auf der Loipe vom ersten Tag an sehr wohlgefühlt, und das ist wichtig. Ich spule im Training meine Kilometer ab und habe ein sehr gutes Gefühl, bisher gab es keinen Einbruch. Die Trefferquote am Schießstand ist auch sehr hoch.

ORF.at: Wird die dreiwöchige Wettkampfpause für ein noch ausgeglicheneres Rennen sorgen?

Sumann: Ich glaube schon, dass jetzt noch mehr für den Sieg infrage kommen. Die im Jänner ein bisschen hintennach waren, könnten jetzt wieder da sein. So eine Pause liegt nicht jedem. Die Wettkampfhärte aus dem Jänner ist weg. Das erste Rennen tut wieder brutal weh, das ist wie ein Neustart. Wir haben schon schnelle Trainings gehabt, um den Körper richtig durchzuputzen - und ihn darauf vorzubereiten, dass es in den nächsten Tagen wieder Prügel gibt.

ORF.at: Welche Rolle wird dem Material zukommen?

Sumann: Wenn das Wetter so nass bleibt, wird es eine Materialschlacht sondergleichen. Da brauchen wir uns aber nicht verstecken, denn gerade im Nassbereich sind wir sehr gut aufgestellt. Da haben wir die wenigsten Probleme, ich mache mir keine Sorgen.

ORF.at: Gefällt Ihnen die Rolle des "Oldies" im Team?

Sumann: Ich bin jedem gerne behilflich, wenn es Fragen gibt, und jederzeit für die Jungen da. Die sind aber mittlerweile Profis genug, dass sie sich sofort auf die Situation einstellen. Die Abläufe sind ohnehin immer gleich. Das wäre ja ein totaler Blödsinn, hier bei Olympia alles umzustellen - einfach alles nach Schema F abhandeln.

ORF.at: Dominik Landertinger und Simon Eder wirken sehr entspannt. Sind Sie überrascht, dass die Jungen bei ihren ersten Winterspielen so cool sind?

Sumann: Das wird sich schon ändern, wenn es losgeht. Den Läufer, der bei Olympia nicht nervös ist, gibt es nicht. Nervös sein ist okay, nur in die Hosen scheißen ist eher kontraproduktiv. Die zwei sind schon Wettkampfroutiniers, sie können mit Druck umgehen und wissen, was sie können. Dazu kommt jugendliche Ungezwungenheit. Der 'Landi' stellt sich hin und sagt 'Scheiß drauf'. Das Türl geht auf, und er rennt los. Der überlegt nicht, dass da jetzt bei Olympia die ganze Welt zuschaut, das ist im wurscht.

ORF.at: Arbeiten Sie viel im mentalen Bereich?

Sumann: Gar nicht, ich kann damit überhaupt nichts anfangen. Entweder du hast es oder nicht - aus, Pause. Erfolge machen stark und sind mein Mentaltraining.

ORF.at: Wir sehen zurzeit also den besten Sumann, den es je gab?

Sumann: Mit Sicherheit, die letzten zwei Jahre waren schon auf einem sehr hohen Niveau. Ich kann mich kaum an ein Rennen erinnern, wo es läuferisch überhaupt nicht hingehauen hat. Es gab Aufs und Abs, aber keine Totalausfälle. Die erreichten Ziele und Erfolge geben mir die nötige Kraft. So ein Ziel muss nicht immer ein Stockerlplatz sein - außer bei Olympia.

Harald Hofstetter, ORF.at aus Whistler

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