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Goldregen für Gastgeber
Einmal auf der Radbahn, zweimal im Rudern und dreimal innerhalb von nur 47 Minuten im Leichtathletikstadion schlugen die britischen Athleten zu. Vor allem die Erfolge im Olympiastadion hatten historische Dimensionen. Knapp vor 21.00 Uhr Ortszeit riss Jessica Ennis nach dem abschließenden 800 Meter Lauf im Siebenkampf der Damen die Hände in die Höhe. Die 26-Jährige hatte gerade die erste Leichtathletik-Goldmedaille auf heimischem Boden seit 1908 geholt.

„Noch immer unter Schock“
Nur 20 Minuten später segelte Greg Rutherford im Weitsprung zu Gold, Mo Farrah krönte mit dem ersten Olympiasieg eines britischen Sportlers über 10.000 Meter vor 80.000 Zuschauern den goldenen Abend aus Gastgebersicht. „Ich stehe noch immer unter Schock“, meinte Ennis, nachdem sie mit Tränen in den Augen bei der Siegerehrung der von allen Zuschauern mitgesungenen Hymne gelauscht hatte. „Es war sehr viel Druck, jeder hat die Goldmedaille erwartet, bevor ich das erste Mal auf die Bahn getreten bin“, sagte die in Sheffield aufgewachsene neue Siebenkampfkönigin.
Vor vier Jahren musste Ennis als Mitfavoritin noch verletzt passen, jetzt holte die Weltmeisterin von 2009 Versäumtes nach. „Den Siebenkampf so durchzuziehen und zu gewinnen, ist ein Traum“, sagte die 26-Jährige. Getragen von einer Welle der Euphorie im Olympiastadion hielt auch Farrah über 10.000 Metern dem Druck stand.
Noch vor Beginn der Abendsession forderten Fans via Videowall den Olympiasieg des in Somalie geborenen Langstreckenläufers. Und Farrah enttäuschte die Hoffnungen nicht. „Es ist einfach unglaublich“, sagte der 29-Jährige.
Historischer Samstag
Farrah bedankte sich so wie Weitsprungsieger Rutherford - der erste Brite seit Lynn Davies 1964 - beim fanatischen Publikum im weiten Rund des Olympiastadions. „Ohne das Publikum hätte ich das nicht geschafft“, sagte Farrah. Rutherford ergänzte: „Je näher ich zum Absprung gekommen bin, umso lauter sind sie geworden.“ Übrigens: Drei Goldmedaillen an einem Abend konnte Großbritannien in der Leichtathletik noch nie gewinnen.
„Die Kraft der Menge befeuert das Rennen um Medaillen im Olympiapark. Es ist die leistungssteigernde Substanz, die auf keiner Dopingliste steht“, wusste auch der „Observer“. Die Erfolge der britischen Damen in der Teamverfolgung - es war die fünfte Goldmedaille für die Gastgeber auf der Radbahn - und die goldenen Nummer drei und vier 2012 im Rudern rundeten den bisher erfolgreichsten Olympiatag aus Sicht der Gastgeber ab. Vier Goldmedaillen konnten britische Ruderer bei olympischen Spielen überhaupt noch nie erringen.

Im Medaillenspiegel kletterte Großbritannien hinter den USA und China auf den dritten Platz. Die Medien auf der Insel überschlugen sich in Superlativen. Einen „Six Pack“ bejubelte die „Sun“, die „Daily Mail“ feierte den „Super-Samstag“. Die „Times“ sprach von der „schönsten olympischen Stunde“, der „Sunday Miror“ vom „größten Abend in der britischen Olympiageschichte“. An die Kritik nach den erfolglosen ersten vier Tagen der Spiele 2012 dachte niemand mehr.
Alles beim Alten im Fußball
Und dennoch endete der erfolgreiche Tag mit Enttäuschung. „Manche Dinge ändern sich einfach nicht“, sagte Gary Lineker, früher WM-Torschützenkönig für England 1986, jetzt Moderator der BBC in einer ersten Reaktion auf das Elfmeterdrama im Millenium Stadium von Cardiff. Daniel Sturridge verschoss gegen Südkorea im Elfmeterschießen den entscheidenden Versuch. So wie England bei der EM Ende Juni scheiterte das britische Team im Shootout und im Viertelfinale. Nach 90 Minuten und Verlängerung war es 1:1 gestanden.
Noch im Spiel davor war Sturridge mit seinem Siegestreffer zum 1:0 gegen Uruguay in der Gruppenphase der umjubelte Held gewesen. Jetzt versagten ihm im entscheidenden Moment die Nerven. „Er wird daraus lernen“, sagte Trainer Stuart Pearce, der im WM-Semifinale 1990 gegen Deutschland ebenfalls einen Penalty verschossen hatte. Das Aus im Viertelfinale bedeutete auch das Aus für ein britisches Fußballteam - zumindest in absehbarer Zukunft.
Die um ihre Eigenständigkeit fürchtenden Verbände von Schottland, Wales und Nordirland standen dem Projekt von Beginn an skeptisch bis ablehnend gegenüber. Der Plan, erstmals seit 1960 ein Team mit Spielern aus allen vier Landesteilen zu Olympia zu schicken, scheiterte am Unwillen der Schotten. Dass 2016 in Rio de Janeiro Großbritannien wieder im olympischen Fußballturnier antritt, kann ausgeschlossen werden. Die Fans wird es nur bedingt stören. Schließlich mussten sie ja auch zwischen den jüngsten beiden Auftritten von einem Team Großbritannien 52 Jahre warten.
Karl Huber, ORF.at aus London
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Publiziert am 05.08.2012