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Beckham-Fans zürnen dem Teamchef

Nationalstolz, Selbstgefälligkeit und gekränkte Eitelkeit: Mit einem Gemisch aus diesen Eigenschaften ist die Zusammenstellung der britischen Fußballmannschaft für die Olympischen Spiele in London mehr und mehr überlagert worden und hat am Ende zu einer echten Seifenoper geführt.

Was eine Auswahl von Spielern aus allen vier Landesteilen hätte werden sollen, stellt sich nun als englisches Team mit walisischen Einsprengseln dar: Aus Sorge um die fußballerische Eigenständigkeit sträubten sich Schottland und Nordirland gegen eine Teilnahme, womit im Kader 13 Engländer und gerade einmal fünf Waliser aufscheinen.

Historische Einigung, die keine war

Noch im Juni 2011 hatte das britische Olympische Komitee (BOA) von einer „historischen Einigung“ im Ringen um eine Mannschaft gesprochen, die aus Engländern, Walisern, Schotten und Nordiren bestehen sollte. Diese - mit den Verantwortlichen aller Landesteile nicht abgesprochene - Aussage sorgte in Schottland und Nordirland für derart großen Ärger, dass die Chance auf ein gesamt-britisches Team endgültig dahin war.

Richards statt Beckham

Zu den Olympiaabwesenden zählen nicht nur Schotten, Nordiren und sämtliche aktuelle englische Teamspieler. Auch David Beckham darf sehr zum Ärger seiner zahlreichen Fans die Spiele nur von der Tribüne aus verfolgen. Für Englands Ikone war das olympische Turnier als große Abschiedsparty vor eigenem Publikum geplant, doch Teamchef Stuart Pearce machte der Hoffnung des 37-Jährigen auf einen letzten glamourösen Auftritt einen Strich durch die Rechnung. „Psycho“, wie der Trainer genannt wird, nominierte lieber ManCity-Verteidiger Micah Richards als einen der drei erlaubten Spieler über 23 Jahre.

David Beckham mit der Olympischen FackelAP/Alastair GrantBeckham erhielt nur abseits des Rasens eine tragende Aufgabe

Beckham, der bei Londons Olympiabewerbung eine Schlüsselrolle innegehabt hatte, trug es mit Fassung. „Ich wäre sehr stolz gewesen, an den Spielen teilzunehmen und mein Land in meiner Heimatstadt zu repräsentieren, gerade auf so einer großen Bühne. Das wäre unglaublich gewesen. Aber ich werde der größte Fan der britischen Mannschaft sein“, beteuerte der LA-Galaxy-Legionär. Dennoch sitzt die Enttäuschung über seine Nicht-Berücksichtigung offensichtlich tief - immerhin lehnte Beckham sogar die ehrenvolle Aufgabe ab, das olympische Feuer zu entzünden. „Wenigstens ist meine Familie gesund. Das Leben geht weiter“, tröstete sich der frühere Star von Manchester United und Real Madrid.

Teamchef in Verteidigungsstellung

Pearce mutierte unterdessen zum großen Feindbild aller Beckham-Verehrer, Kritik kam selbst von Olympia-Organisationschef Sebastien Coe. Seit der Kaderbekanntgabe Ende Juni befindet sich der Ex-Verteidiger in permanenter Abwehrstellung und hat alle Hände voll zu tun, seine Auswahl zu rechtfertigen. „Ich habe großen Respekt vor David und seinen Erfolgen. Meine Entscheidung ist nicht persönlicher, sondern rein sportlicher Natur. Ich habe die Pflicht, die bestmögliche Mannschaft zusammenzustellen.“

Dazu gehört für Pearce auch Manchester-United-Veteran Ryan Giggs, der mit 38 Jahren sein erstes großes Turnier bestreiten darf und als Kapitän fungiert. Als dritten Spieler über 23 Jahre wählte Pearce Flügelspieler Craig Bellamy, einen walisischen Landsmann von Giggs.

Angst vor Verlust der Autonomie

Die Verbände aus Schottland und Nordirland hingegen lieferten keine Spieler für das britische Team - zu groß ist die Angst vor dem Verlust der fußballerischen Autonomie. Beim IOC existieren die Landesteile lediglich als Mitglied von Großbritannien, im Fußball-Weltverband (FIFA) werden England, Schottland, Wales und Nordirland jedoch als eigene Verbände geführt. Ein gemeinsames britisches Team könnte diesen Status gefährden, so die Befürchtungen der drei „Associations“. Da nützte es auch nichts, dass sogar FIFA-Präsident Joseph Blatter den Weiterbestand der Unabhängigkeit zusicherte.

Praktisch mit dem Olympiazuschlag im Juli 2005 begann der Streit der Landesteile mit dem britischen Olympischen Komitee. Der Konflikt wurde unter dem - aus Schottland stammenden - britischen Premierminister Gordon Brown sogar Thema in der Downing Street Nummer 10. Der Labour-Politiker versuchte erfolglos, seine engeren Landsleute zur Teilnahme zu bewegen, und holte sich auch bei Sir Alex Ferguson einen Korb. Die schottische Trainerlegende von Manchester United hätte „Team Great Britain“ betreuen sollen.

Eine einmalige Rückkehr?

Angesichts dieser Unstimmigkeiten dürfte der Auftritt in London wohl auf absehbare Zeit die letzte Teilnahme einer britischen Mannschaft beim olympischen Fußballturnier gewesen sein. Zuletzt gab es eine Großbritannien-Auswahl im Zeichen der fünf Ringe 1960 in Italien zu sehen. Von 1964 bis 1972 scheiterte der dreifache Fußball-Olympiasieger (1900/damals mit dem Club Upton Park FC, 1908, 1912) in der Qualifikation, danach wurde auf eine Teilnahme überhaupt verzichtet.

Für die Spiele 1992 und 1996 holte Schottland via U21-EM einen Startplatz, für Peking 2008 wäre England qualifiziert gewesen - jedes Mal sah Großbritannien von einem Antreten ab.

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Publiziert am 26.07.2012